Aus Anlass des Todes von Heinz Keßler am 02. Mai 2017 wird ein Beitrag zum Thema Konterrevolution in der DDR bereits im Juni veröffentlicht. Eigentlich ist der November der Monat für das Thema Konterrevolution. Da werden gewiss noch genügend Beiträge zu diesem Thema folgen.
DIE TROMMLER legt nun dar, wie Heinz Keßler, Verteidigungsminister der DDR(1985-1989)die Konterrevolution erlebte.
Siehe Beitrag Keßler Ende DDR und SED im Buch „Unter Feuer“ Untertitel „Die Konterrevolution in der DDR“(Herausgeber: „Offensiv“).
Das Buch kann bei „Offensiv“ heruntergeladen oder in Buchform bestellt werden.
Bildquelle: Von Bundesarchiv, Bild 183-1988-0704-410 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, Bild ist entsprechend verlinkt
Letzte Beratung des Politisch Beratenden Ausschusses der Staaten des Warschauer Vertrages im September 1989
Dieses letzte Treffen der sozialistischen Staaten, bzw. deren Vertreter markiert auch den Anfang vom Ende.
Heinz Keßler wurde es zum ersten Mal klar, dass es in den Parteien im Rahmen des Warschauer Vertrages grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten gab.
Auf dieser Beratung machte der offizielle Vertreter der Ungarischen Kommunistischen Partei namens Horn ganz offiziell den Vorschlag- und ließ erkennen, dass er davon nicht abzubringen sein würde-dass Ungarn die Grenze öffnen werde. Es gab dazu keine große Diskussion, Gorbatschow reagierte auf die Gedanken von Horn mit der Feststellung: „Wir haben ja vor längerer Zeit beschlossen, dass jede Partei selbstständig entscheidet über ihre Innen- und Außenpolitik.“
Dann eine Pause. In dieser Pause gab es unterschiedliche Gruppen. Eine Gruppe setzte sich zusammen aus Shivkow, dem Generalsekretär der Kommunistischen Partei Bulgariens, aus Erich Honecker, dem Vorsitzenden der SED und Ceausescu, dem Chef der rumänischen Kommunisten. Die drei waren außer sich und empört.
Dann war die Pause zu Ende. Der Vorschlag von Horn wurde von der Autorität der sowjetischen Delegation, die sich zusammensetzte aus Gorbatschow, Schewardnadse u.a. sanktioniert im Sinne von stattgegeben-und die Sache war zu Ende. Alle waren irgendwie schockiert, einige, wie oben gesagt, empört.
Es war Tradition, dass nach der offiziellen Beratung der Repräsentanten des Warschauer Vertrages(die Delegationen setzten sich unterschiedlich zusammen), eine Beratung der ersten Sekretäre, bzw. Generalsekretäre der Parteien stattfand. Heinz Keßler wusste, dass Erich Honecker auf dieser Beratung prinzipiell die Forderung aufstellen wollte, dass die Parteien des Warschauer Vertrages geschlossen und entschieden gegen alle ideologischen und sonstigen Angriffe der NATO-Staaten, vor allem der USA, Stellung nehmen und dementsprechend ihre Politik gestalten müssten.
Wäre es dazu gekommen, wäre es zu einer harten Auseinandersetzung gekommen, gerade mit den damaligen verantwortlichen sowjetischen Leuten, also Gorbatschow, Schewardnadse usw..
In der Nacht-nach dem Ende des politisch-beratenden Ausschusses-zum nächsten Tag, an dem diese Beratung der Parteichefs stattfinden sollte, wurden die Mitglieder der Delegation der DDR, geweckt. Heinz Keßler wurde gebeten so schnell, wie möglich in das Zimmer von Willi Stoph zu kommen. Willi Stoph war der stellvertretende Leiter der Delegation der DDR. Als die Mitglieder der Delegation der DDR im Zimmer von Willi Stoph versammelt waren, teilte dieser mit, dass Erich Honecker schwer krank geworden war. Er wurde in Bukarest ins Krankenhaus gebracht. Die Ärzte teilten mit, dass die entsprechende Vorsorge getroffen würde, damit Honecker transportfähig sei. Willi Stoph schlug vor Erich Honecker mit einem Flugzeug der DDR sofort nach Berlin zu bringen und als Begleiter aus der Delegation sollte Egon Krenz mitfliegen. Dem Vorschlag wurde zugestimmt und die entsprechenden Maßnahmen für den Rücktransport eingeleitet.
Heinz Keßler fragte Willi Stoph, wie er sich denn auf der Beratung der ersten Sekretäre und Generalsekretäre verhalten würde. Stoph gab die Antwort, dass er dazu keine Stellung nimmt, weil er kein Generalsekretär, bzw. Erster Sekretär ist. Die Tagung ist dann genauso ausgegangen die Tagung des Politisch Beratenden Ausschusses.
Bei der Rückkehr der Delegation in die DDR gab es bereits schon eine Reihe schwieriger und negativer Erscheinungen in der DDR. Die Unzufriedenheit reichte bis in die Grundorganisationen der Partei, in die Betriebe usw..
Erich Honecker hat Günter Mittag als seinen Stellvertreter eingesetzt. Das war für Heinz Keßler unverständlich. Es glaubten doch alle, dass Egon Krenz der Stellvertreter von Honecker sein würde. Egon Krenz war trotz der Krise in aller Seelenruhe zu dieser Zeit in Urlaub. Während der Krise führte Günter Mittag.
Die Lähmung des Politbüros und ZK der SED
Bis zu einem gewissen Zeitpunkt war nicht nur erwartet, sondern auch vorbereitet worden, dass Egon Krenz der Nachfolger von Erich Honecker wird. Aber von einem gewissen Zeitpunkt an-so sah Heinz Keßler dies-merkte Erich Honecker, dass Gorbatschow und seine Leute mit seinen Anhängern in der DDR eng zusammenwirkten. Erich Honecker hatte Gorbatschow durchschaut und geahnt, dass Perestroika und Glasnost in die Irre, ja sogar zur Niederlage führen kann. So ist es ja gekommen. Honecker hatte Recht behalten. Dies hatte er auch oft mit Heinz Keßler diskutiert.
Das Politbüro bestand weiter in der alten Besetzung. Egon Krenz war nicht anwesend. Günter Mittag war Ökonom, verstand aber wenig von Politik und war unsympathisch.
Erich Honecker wurde aus dem Krankenhaus entlassen. Er bekam von den Ärzten die strikte Weisung sich nicht politisch zu betätigen. So ging Honecker in die Residenz des Staatsratsvorsitzenden am Döllnsee, wurde dort informiert und gab hier und da Hinweise.
Heinz Keßler merkte, dass die Parteiführung, die Führung des Sekretariats, initiiert von Günter Mittag, im Grunde genommen so tat, als sei nichts passiert.
Heinz Keßler suchte das Gespräch mit Erich Honecker. Die Ärzte ließen aber niemanden zu Honecker. Heinz Keßler ist es über Margot Honecker gelungen zu Erich Honecker gelassen zu werden. Heinz Keßler hatte sich 13 Punkte aufgeschrieben, über die er mit Erich Honecker reden wollte. Der Schwerpunkt der 13 Punkte war, die Partei zu mobilisieren, die Führung muss raus, in die Betriebe, in die Grundorganisationen der Partei, es müsse offen über die Probleme geredet werden und sich dazu bekannt werden, dass Glasnost und Perestroika in die Irre führen. Als sich Erich Honecker das angehört hatte, holte er seinerseits ein Papier aus seinem Schreibtisch mit 12 Punkten. Diese 12 Punkte wollte er in Bukarest vor den ersten Sekretären der Parteien darlegen. Diese 12 Punkte deckten sich mit den 13 Punkten von Heinz Keßler. Erich Honecker gab Günter Mittag die Weisung diese 13 Punkte zu behandeln.
In der folgenden Politbürositzung waren alle möglichen Tagesordnungspunkte behandelt worden. Am Ende sagte Günter Mittag: „Wir haben hier zur Behandlung einen Vorschlag des Genossen Keßler, das schaffen wir zeitlich aber heute nicht, wir haben alle noch zu tun. Aber wir werden das morgen in der Sekretariatssitzung behandeln.“ Es war immer so: Dienstag war Politbüro-, Mittwoch Sekretariatssitzung. Beim Sekretariat war Heinz Keßler nicht dabei, weil er dort nicht dazugehörte. Im Sekretariat wurde Krenz von Herger, dem Leiter der Sicherheitsabteilung, vertreten. Und der rief an jenem Mittwochnachmittag an und sagte: „Heinz, Deine Vorschläge kannst Du vergessen.“ Heinz Keßler fragte zurück: „Warum?“ Da sagte Herger: „Weil er sie nicht behandelt hat. Nicht hat behandeln wollen.“
Und dann gab es im Frühjahr 1989 den formellen Beschluss, dass Heinz Keßler als Verteidigungsminister Kuba einen offiziellen Besuch abstattet.
Verteidigungsminister Keßler wird „weggeschickt“ nach Nicaragua und Cuba
Zu den Feierlichkeiten des 40. Jahrestages der Gründung der DDR wurden die Politbüromitglieder und andere führende Genossen eingeteilt, wer welche ausländische Delegation betreut. Heinz Keßler wurde zur Betreuung der Delegation um Daniel Ortega aus Nicaragua eingeteilt. Heinz Keßler kannte Daniel Ortega bereits von anderen Begegnungen her. Bei einem Abendessen mit der Delegation aus Nicaragua ergab sich, der bevorstehende Besuch in Kuba mit einem Besuch in Nicaragua verbunden werden sollte. Ortega hat mit den maßgeblichen Genossen geredet, damit die Erweiterung der Reise auch formell genehmigt und abgestimmt wird.
Keßler sollte an einem Donnerstag abreisen. Am Dienstag zuvor war Politbürositzung. Die Lage in der DDR war schon ziemlich kritisch. Deswegen wandte sich Keßler an Egon Krenz, der wieder da war. Egon Krenz war parteimäßig für Sicherheits- und Verteidigungsfragen verantwortlich. Egon Krenz behielt die Ruhe und meinte, dass Keßler ruhig reisen könnte. Dann hatte Keßler seinen formalen Vorgesetzten, Willi Stoph gefragt. Dieser hatte ebenso keine Bedenken. Trotz Krankheit hatte Keßler mit Honecker gesprochen, der ebenfalls in der Reise kein Problem sah und hinzufügte, dass man den Besuch den Kubanern versprochen habe. Es ging nicht nur um einen Besuch, sondern um organisierte Hilfe. Und das, wo die DDR kurz vor dem Ende stand. Honecker hatte die Hoffnung, dass mit dieser Reise das Ansehen der DDR vergrößert würde.
Am Dienstag nach der Abreise von Heinz Keßler hatte Willi Stoph in der Politbürositzung den Antrag eingebracht, unterstützt von Egon Krenz und noch ein paar anderen, Honecker abzulösen. Später hatte Heinz Keßler von einem sowjetischen Genossen erfahren, dass zwischendurch Harry Tisch unter irgendwelchem Vorwand in Moskau bei Gorbatschow und Schewardnadse war und gefragt wurde: „Läuft alles?“. Er antwortete mit „Ja.“ „Und Keßler?“ darauf antwortete Harry Tisch: „Den haben wir weggeschickt.“ Denn Keßler hätte dem Antrag Erich Honecker abzulösen nie zugestimmt.
Keßler ist über Havanna zurückgeflogen. Es gab ein kurzes Treffen, ohne Protokoll, in einem vorbereiteten Raum im Flughafengebäude mit Fidel und Raul Castro u. a. kubanischen Genossen. Sie machten Heinz Keßler Mut und warnten zugleich vor dem das da kommen sollte und tatsächlich gekommen ist.
Honeckers Absetzung, der Parteiausschluss und die erste Inhaftierung von Heinz Keßler
Nachdem Heinz Keßler von seiner Reise zurückgekehrt war, fand diese ZK-Sitzung statt, wo offiziell beschlossen wurde, Honecker aus gesundheitlichen Gründen abzulösen. Einige Genossen wurden aus der Partei ausgeschlossen. Nach langer Diskussion wurde Egon Krenz als Generalsekretär gewählt. Dem hatte Heinz Keßler zugestimmt.
Nun wurde ein neues Politbüro gewählt. Hans Modrow war eines der neuen Mitglieder im Politbüro. Hans Modrow hat von der ersten Sitzung an ins Zentrum gestellt: „Die Zeit ist vorbei, wo die Partei bestimmt, was die staatliche Führung, also der Ministerpräsident und die Regierung macht.“ Er war innerlich erregt und böse, dass er nicht zum Generalsekretär gewählt wurde.
Am 04. Oktober 1989-das war alljährlich so- war die Generalprobe der Militärparade. So etwa 10 Minuten oder eine Viertelstunde vor Beginn der Generalprobe bat ein Genosse zu Heinz Keßler ans Telefon. Da Keßler glaubte, dass es sich um was Ernstes handelt, denn die Lage in der DDR war ja angespannt, hatte er alle Kollegiumsmitglieder seines Ministeriums gebeten mitzukommen. Am Telefon war Erich Mielke und sagte: „Der Modrow möchte mit Dir sprechen.“ Modrow sagte: „Ich habe hier in Dresden eine sehr schwierige Situation mit Zusammenballungen von Menschen. Ich werde mit den mir zur Verfügung stehenden Kräften mit der Lage nicht fertig. Kannst Du mir helfen?“ Da hat Heinz Keßler im Beisein des Kollegiums entschieden: „Ja, ich helfe Dir“, denn wir hatten dort genügend Einrichtungen und Menschen, „aber ohne Waffen, Schlagstöcken oder sonst was, nur Personen.“ Heinz Keßler hatte dem Leiter der Militärakademie „Friedrich Engels“ die Weisung gegeben, sich bei Modrow zu melden und ihm mit Menschen zur Absperrung und so weiter zu helfen. In dieser Nacht, so ungefähr um vier Uhr früh, als Heinz Keßler wieder zu Hause war, rief ihn Modrow an und hatte sich für die Hilfe bedankt.
Das war vergessen, als Heinz Keßler das erste mal eingesperrt wurde. Das war noch in der DDR!- Modrow gab der „Berliner Zeitung“ ein Interview. Er wurde gefragt, wie das damals in Dresden am 4. Oktober war. Da erklärte er, er habe damit nichts zu tun. Das sei allein die Sache von Friedrich Dickel, dem Innenminister, von Keßler und Mielke gewesen.
Heinz Keßler wurde kurz vor seinem 70. Geburtstag eingesperrt. Und das unter widrigsten Bedingungen. Während dieser Zeit war Hans Modrow Ministerpräsident.
Früh um 8 Uhr kamen vier Staatsanwälte zu Keßler und haben Hausdurchsuchung gemacht und einer fragte noch, warum er eine Bibel im Haus hätte und zeigte einen Haftbefehl. Keßler wurde aus zwei Gründen verhaftet: Erstens, weil er Volksvermögen mit der Jagd vergeudet hätte und zweitens, weil er sich zu Hause eine Sauna hätte einbauen lassen. Doch Heinz Keßler war kein Jäger und hatte keine Sauna.
Man muss bedenken, dass es noch die „alten“ Staatsanwälte aus der DDR waren, die Heinz Keßler nun verhört hatten. Sie haben erklärt, dass das Verteidigungsministerium auch ein Jagdgebiet hatte. In der DDR waren Jagten für Politiker üblich. Es gab auch Diplomatenjagten. Heinz Keßler hatte sich aber nie darum gekümmert. Er war zwar verantwortlich, aber nicht interessiert. Nun wurde vorgerechnet, dass das Wild im Winter gefüttert werden musste. Weitere Kosten für das Jagdgebiet wurden aufgelistet und summiert. Man kam auf die Summe von 80.000 Mark. Für diese Verschwendung von Volksvermögen trüge Heinz Keßler die Verantwortung. Nach dem Verhör wurde er aus dem Polizeipräsidium herausgenommen und nach Hohenschönhausen in die Untersuchungshaftanstalt des MfS gebracht.
Etwa Ende April kam der Staatsanwalt, der selbst ein passionierter Jäger war, zu Heinz Keßler und sagte: „Kollege Keßler“, – er sagte nicht „Genosse Keßler“, „Sie werden morgen entlassen.“ Darauf antwortete Heinz Keßler: „Ich werde aber nicht gehen.“ Er: „Wieso das? Jeder ist doch froh, wenn er aus dem Gefängnis raus kommt.“ Keßler wieder: „Ich gehe erst, wenn der Generalstaatsanwalt dieser Modrow-Regierung eine Erklärung abgibt, dass die Anschuldigungen alle falsch waren.“ Denn vorher wurde eine Riesenkampagne gemacht wegen Korruption und so weiter. Nach langem Hin und Her haben sie eine Erklärung gemacht, sie haben sie Keßler sogar gezeigt und er machte einige Korrekturen. Die Erklärung wurde aber nicht veröffentlicht. Da hatte Keßler gesagt: „Gebt mir eine Kopie“, dann haben Genossen mit Hilfe seines Sohnes diese Kopie den Nachrichtenbüros zugespielt und die haben sie dann veröffentlicht.
Zuvor haben einige Genossen, vor allem Egon Krenz, stark darauf gedrängt, dass Keßler Mitglied der Regierung Modrow werden soll. Als Feigenblatt sozusagen. Darauf erklärte Keßler, dass er nicht in diese Regierung geht, weil er wusste, in welche Richtung sich alles weiterentwickelt und hatte Recht behalten. Im November ist Keßler als Minister und von allen politischen Ämtern zurückgetreten. Es wurde dann eine offizielle Kollegiumssitzung durchgeführt wo er sich offiziell verabschiedete. Keßler wurde gebeten einen Vorschlag für seine Nachfolge zu machen. Er dachte, dass er mit Theodor Hoffmann einen guten Vorschlag gemacht hätte. Keßler sollte noch vier bis fünf Wochen im Amt bleiben und seinen Nachfolger einarbeiten.
Bevor Heinz Keßler eingesperrt wurde, hatte man ihn aus der Partei ausgeschlossen. Er bekam einen Brief vom Vorsitzenden der Schiedskommission. Die neuen Leute, wie Gysi, Schumann u.a. waren schon da. In dem Brief stand: „Gegen Dich läuft ein Parteiverfahren. Grund: Antisowjetische Haltung.“ Als Heinz Keßler zu dem Ort geht, wo er hinbestellt wurde, waren auch andere Genossen da, die ebenfalls ausgeschlossen werden sollten. Die Schiedskommission war ein wilder Haufen. Der Vorsitzende fängt an: antisowjetische Haltung. Keßler sagte: „Pass mal auf, wir müssen mal unterscheiden. Meinst Du die Sowjetunion oder meinst Du Gorbatschow? Wenn Du Gorbatschow und die Seinen meinst, dann stimmt es.“ Und den haben sie gemeint und so habe sie Keßler aus der Partei ausgeschlossen. Einer der wenigen, der gegen den Ausschluss von Keßler gestimmt hat war Täve Schur.
Die zweite Inhaftierung von Heinz Keßler, der Prozess und die Verweigerung der Solidarität durch Gorbatschow
Heinz Keßler und seine Frau besuchten an Pfingstmontag 1990 ihren Sohn in Strausberg. Die Übergaberegierung und Lothar de Maizière war im Amt. Als Heinz Keßler und seine Frau wieder nach Hause kamen, stellten sie fest, dass alle Türen aufgebrochen waren, alles durchsucht und durchwühlt war. Vorn an der Tür waren neue Schlösser eingebaut und eine Nachricht hinterlassen worden. Die Nachricht besagte, dass der Schlüssel auf einem bestimmten Polizeirevier abzuholen wäre. Auf dem Polizeirevier wurde der Haftbefehl gezeigt. Begründung des Haftbefehls: Fluchtgefahr. Dann wurde Keßler in ein Polizeigefängnis in Berlin gefahren, wo sonst die Besoffenen und sonstige Gestrandete für eine Nacht untergebracht wurden. Heute ist ein solches Polizeigefängnis in Berlin eine “Gedenkstätte“. Es wird so getan, als würde es Ähnliches heute weltweit nicht mehr geben.
Am übernächsten Tag wurde Heinz Keßler nach Moabit gebracht. Dort hatte er auch Willi Stoph und Andere gesehen, die aber wieder rausgelassen wurden. Die einzigen, die drin geblieben sind, waren Strelitz, Keßler und Albrecht, der Erste Sekretär der Partei in Suhl.
Einige Beamte in Moabit sagten im Gefängnis zu Heinz Keßler: „Dein Honecker kommt auch hierher.“ Das glaubte Keßler zunächst nicht, doch die Beamten hatten Recht behalten. Honecker kam dann, doch Keßler hatte ihn niemals gesehen, denn er, Strelitz und Honecker waren getrennt untergebracht. So haben sie sich erst am ersten Verhandlungstag gesehen. Im Gerichtsgebäude waren Sammelzellen, wo alle drei hingebracht wurden. Honecker hatte eine Konzeption der Gegenrede zur Anklage vorgelegt und die Mitgefangen nach ihrer Meinung gefragt. Alle waren damit einverstanden.
Zu jener Zeit hielt sich Gorbatschow in der BRD auf. Keßler und Strelitz ist es gelungen durch Mittelsmänner, denen sie einen kurzen Brief übergeben hatten, Gorbatschow die Bitte auszurichten, dass er im Prozess als Zeuge auftritt-als Oberkommandierender der Vereinten Streitkräfte des Warschauer Vertrages. Gorbatschow hatte durch Mittelsmänner antworten lassen, dass das nicht mehr Sache der Sowjetunion, sondern eine Sache der Deutschen sei. Dann haben sie sich an Kulkow gewandt, einen ehemaligen Oberkommandierenden der Vereinten Streitkräfte der Länder des Warschauer Vertrages, zu dem sie ein gutes Verhältnis hatten. Auch seine Antwort war: „Das ist allein Sache der Deutschen.“
Kritischer Rückblick: „Wir hatten Illusionen gehabt“
Nach 1945, als nach dem Aufbau der antifaschistisch-demokratischen Ordnung der Übergang zu Sozialismus begann, war das ein anderer Anfang, als z.B. in Kuba.
Keßler erinnerte sich, wie er Ende Juli 1945 nach Berlin kam. Alles war faschistisch verseucht, bei manchen unbewusst, aber das Denken war faschistisch. Dazu kam, dass junge Menschen ihre Eltern verloren hatten, es gab wenig zu essen, die Stadt lag in Trümmern. So hatte Keßler in Berlin angefangen. Er war oft ausgepfiffen worden. Es war ein schwieriger Anfang. Dass es doch vorwärts ging, war der Hilfe der damaligen Sowjetunion und der Solidarität durch Antifaschisten auf der ganzen Welt zu verdanken. Das hatte die Verantwortlichen selbstzufrieden gemacht.
In der SED-Führung hatte sich eine gewisse, überhebliche, Haltung gegenüber dem Imperialismus herausgebildet, nach dem Motto: „Die können uns mal..“ Die Gefährlichkeit des Imperialismus wurde sehr wohl gesehen und auch welche Taktiken dieser anwendet, doch wurde das unterschätzt, was sich letztendlich bitter gerächt hat. Es hatte sich ein gewisser Automatismus und Bequemlichkeit entwickelt. So wurden die Dinge von den Verantwortlichen nicht richtig ernst genommen, bzw. es wurde über bestimmte Dinge nicht ernsthaft gestritten. Ein Beispiel: Der Vertreter des Oberkommandos der Staaten des Warschauer Vertrages war ein hervorragender sowjetischer General. Der sagte zu Keßler, als die Frage anstand Jelzin zum Präsidenten zu wählen: „Der kommt nie durch. Den wählen die Bürger der Sowjetunion nicht.“ Aber Jelzin wurde gewählt! Das heißt, hier kommt die Illusion zum tragen, dass die Gesamtpartei, einschließlich des Jugendverbandes, die sowjetische Arbeiterklasse, auch die Bauern und Intelligenz in ihrer Mehrheit das nicht zulassen würde. Das war eine fatale Illusion, denn schließlich wurden die KPdSU und der Sowjetstaat faktisch in 24 Stunden liquidiert. Damit hatte niemand in der SED, aber auch viele sowjetische Genossen nicht gerechnet. Keßler blickt selbstkritisch zurück und erinnerte sich, dass auch er der festen Überzeugung war-schließlich kannte er viele sowjetische Genossen-dass die Gorbatschowisten, Jelzin und diese Leute damit nicht durchkommen. Doch leider war das ein Irrtum.
Der Anfang des Niedergangs begann mit dem XX. Parteitag der KPdSU. Der Revisionismus konnte sich immer mehr ausbreiten.(„Geheimrede“ von Chruschtschow) Die Gorbatschow-Leute haben dann etwas gemacht, was viele Genossen, auch Keßler, falsch eingeschätzt hatten. Diese Leute haben mit den USA und der NATO Verhandlungen über die Reduzierung und Beseitigung aller Massenvernichtungswaffen, also Atomwaffen usw., geführt. Es schien so, das wurde damals auch in der DDR publiziert, dass das sozialistische Lager Erfolg hätte. In dieser Phase der Entwicklung glaubten Manche, dass man aus dem Gorbatschowismus doch etwas Gutes machen kann. Erst als es zu spät war, erkannten immer mehr Parteimitglieder, dass Gorbatschow ein Verräter und seine Politik die Kapitulation war.
Keßler stellte fest, dass es bedauerlich ist, dass es eine solche Chance den Kapitalismus zu beseitigen, wie es sie in der DDR gab, nie mehr wieder gibt. Trotzdem hatte er die Hoffnung, dass der Kapitalismus nicht bleiben kann.
Nun ja, was in hunderten von Jahren sein wird, wissen wir nicht. Auch wenn es pessimistisch klingt, so ist es doch so, dass nun der Kapitalismus gesiegt hat. Auch wenn optimistisch Denkende das anders sehen.
Keßlers Schlussfolgerungen:
Das Schlimmste, was einer kommunistischen Partei-im Fall der DDR die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands-passieren konnte, bzw. kann, ist: dass es in der Parteiführung eine Fraktion gibt. Die gab es. Sie hatte sich aus Leichtgläubigen zusammengesetzt. Dazu zählte Heinz Keßler auch Egon Krenz, weil dieser offensichtlich wirklich glaubte, dass Perestroika und Glasnost ein Weg sei. Dann gab es noch diejenigen, die niemals wirkliche Kommunisten und auch niemals mit der mit der Sache verbunden waren. Dazu zählte Keßler, Schabowski, Schürer, Tisch und noch zwei, drei andere. Diese Genossen, ob subjektiv ehrlich oder objektiv feindlich haben nie eine prinzipielle Diskussion begonnen zu der Frage Glasnost und Perestroika, ja sie haben nicht mal die Frage dazu gestellt.
Also: Niemals zulassen, dass in der Partei und besonders in der Führung eine Fraktion entsteht.
Obwohl Erich Honecker zu Heinz Keßler gesagt hatte: „Entweder der Gorbatschow ist verrückt, oder er ist ein Lump“, wurde von den ehrlichen Genossen die Gefahr unterschätzt. Erich Honecker war der festen Überzeugung, dass eine Partei, die eine solche Verbindung zum Proletariat und eine solche Vergangenheit und Entwicklung wie die KPdSU hat, die Partei Lenins und Stalins, nicht von solchen Schweinehunden wie Gorbatschow, Schewardnadse und anderen zugrunde gerichtet werden könnte. Obwohl Honecker die Absicht Gorbatschows und seiner Leute erkannt hatte, irrte er, was die Verbindung der Partei mit dem Proletariat angeht. Auch Heinz Keßler glaubte daran, dass die Krise überwunden werden könne, weil er viele gute sowjetische Genossen kannte.
Also: Man darf die Gefahr der Konterrevolution niemals unterschätzen. Man darf niemals übersehen, dass die Bourgeoisie auch gelernt hat und weiter lernt.
Die vielleicht wichtigste-Schlussfolgerung, die man ziehen muss, ist die, dass die, dass die Parteiführung, das Politbüro und das ZK, entschieden früher offen über die Probleme im Land und im sozialistischen Lager hätte reden müssen, offen, eindeutig-so, wie es die kubanischen Genossen machen. Die sagen: „Es gibt keinen Strom, und wir erklären, warum. Und wir sagen, was wir machen müssen.“
Also das Ohr an den Massen haben. Damit verbunden: die Partei muss immer wirklich wissen, was die Arbeiter, die Werktätigen denken und vor allem, sie muss sich mir ihnen auseinandersetzen.
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