Der Klassencharakter des Staates
Preußen und der preußische Militarismus hatten bei der Einigung Deutschlands auf reaktionäre Weise die entscheidende Rolle gespielt.
Daher sicherten sich die Junker auch im neugegründeten Reich ihre politischen Machtpositionen. In den Regierungen Preußens und des Reiches, in den Verwaltungen und im Militärwesen, überall saßen vornehmlich Junker.
Die wirtschaftlich stärkste Klasse im Reich war die Bourgeoisie. Um hohe Profite zu erreichen, versuchte sie, reaktionäre Hemmnisse für die Entwicklung der Wirtschaft zu beseitigen. Junker und Bourgeoisie hatten als gemeinsames Hauptinteresse die Ausbeutung und Unterdrückung der Werktätigen (Erwerbstätige), insbesondere der Arbeiterklasse. So arbeiteten Junker und Bourgeoisie zusammen und festigten das schon früher entstandene Klassenbündnis. In diesem Bündnis hatten die Junker die wichtigsten politischen Positionen inne.
Das politische System und die Verfassung entsprachen diesen Klassenverhältnissen. Der Kaiser berief den Reichskanzler und die Leiter der Reichsämter (Ministerien), er hatte den Oberbefehl über Marine und Heer und vertrat das Reich gegenüber dem Ausland. Der Reichskanzler – bis 1890 Otto von Bismarck – war nur dem Kaiser rechenschaftspflichtig. Bismarck nutzte die verschiedenen Klassenwidersprüche im Reich, um sich eine diktatorische Stellung zu schaffen.
Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1982
Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1982
Der Bundesrat setzte sich aus Regierungsbeauftragten der Einzelstaaten zusammen, war also nicht gewählt; er konnte Gesetzentwürfen zustimmen oder diese auch ablehnen. Im Bundesrat führte der Reichskanzler den Vorsitz. 25 Einzelstaaten mit insgesamt 58 (später 61) Stimmen waren in ihm vertreten. Preußen hatte allein 17 Stimmen und mit den Stimmen der von ihm abhängigen Kleinstaaten eindeutig das Übergewicht.
Der Reichstag wurde in allgemeiner, gleicher und geheimer Wahl von männlichen Bürgern über 25 Jahre gewählt. Die Einführung dieses Wahlrechts und einiger anderer demokratischer Rechte waren ein Ergebnis des Kampfes des Volkes. Aber aus Angst vor dem Volke wurden die Rechte des Reichstages sehr beschnitten. Gesetze, die vom Reichstag beschlossen wurden, konnten beispielsweise vom Bundesrat abgelehnt werden. Der Kaiser konnte den Reichstag einfach auflösen.
Durch politischen Druck und durch Beherrschung der Zeitungen konnten die herrschenden Klassen die Wähler beeinflussen. Die Junker und die Bourgeoisie hatten immer die Mehrheit im Reichstag.
Der preußisch-deutsche Militarismus
Nach dem deutsch-französischen Krieg breitete sich der preußische Militarismus weiterhin über Deutschland aus.
Der Kaiser hatte die oberste Kommandogewalt über die deutschen Streitkräfte. Er ernannte Offiziere und Generäle.
Das preußische Kriegsministerium – dem Reichstag nicht rechenschaftspflichtig – wurde das Organisationszentrum des Heeres, und der preußische Generalstab – nur dem Kaiser verantwortlich entwarf die Kriegs- und Operationspläne.
Im Heer selbst besaßen die Junker als Generale und Offiziere eine beherrschende Stellung.

Wie spiegeln sich die Rolle des Junkertums und das reaktionäre Klassenbündnis von Junkertum und Großbourgeoisie in der Armee wider?
Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1982
Junkertum und Bourgeoisie förderten vor allem den Ausbau und die Machterweiterung des preußischen Militarismus. Die herrschenden reaktionären Klassen nutzten die außenpolitischen Spannungen aus und verstärkten die Rüstungen. (Siehe: Die Außenpolitik des preußisch-deutschen Reiches)
Während die Bevölkerungszahl von 1872 bis 1893 um etwa 25 Prozent stieg, wuchs die Heeresstärke um nahezu 50 Prozent. Die Rüstungsausgaben verschlangen den größten Teil der Staatseinnahmen. In Preußen wurden zum Bespiel 1873 zwei Millionen Taler für Volksschulen ausgegeben, aber 60 Millionen Taler für Heer und Flotte.
Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1982
Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1982
Kapitalisten und Bankiers sahen in der Verstärkung des preußisch-deutschen Heeres eine Voraussetzung für ihre Ausbeutungs– und Eroberungspläne. Die Rüstung war zudem für sie eine gute Profitquelle. Nicht nur die Werke Krupps, die vor allem schwere Waffen lieferten, nahmen einen großen Aufstieg. Am Rüstungsgeschäft war der Besitzer großer Betriebe im Saargebiet, Stumm, beteiligt. Der Ausbau des Eisenbahnnetzes zu militärischen Zwecken brachte Stahlwerksbesitzern, den Lokomotivfabrikanten und anderen Firmen, die Eisenbahnausrüstungen herstellten, große Profite. Die sich entwickelnde Elektroindustrie verdiente am Ausbau des militärischen Telefon- und Telegrafensystems. Und die Zeiss-Werke in Jena belieferten sehr bald die Heeresleitung mit Feldstechern und anderen optischen Instrumenten. Bauunternehmer schließlich verdienten am Festungs- und Kasernenbau. So waren Militarismus und Kapitalismus eng miteinander verbunden.
Der Militärapparat wurde nicht nur für außenpolitische Zwecke ausgebaut. Nach dem Motto der Junker aus der Revolution 1848/49 „Gegen Demokraten helfen nur Soldaten!“ wurde das Militär auch gegen das eigene Volk eingesetzt.
Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1982
Die bevorzugte Stellung des Militärapparates beeinflusste das gesamte gesellschaftliche Leben. Kriegervereine und den Militarismus preisende Studentenverbindungen, militärische Aufmärsche zu Sedan-Feiern und Kaiser-Geburtstagen bestimmten das äußere Bild. In den Schulen und Universitäten, in Zeitungen und sogar durch Postkarten wurde der Krieg und das Militär verherrlicht.
Die Herrschaft der Junker und der Großbourgeoisie und die bestimmende Rolle des preußischen Militarismus kennzeichneten das Deutsche Reich als einen preußisch-deutschen Militärstaat.
Die Unterdrückung aller demokratischen Kräfte und der Arbeiterbewegung
Dem Wesen des preußisch-deutschen Militarismus entsprach die Verfolgung aller Gegner der Politik der herrschenden Klassen, insbesondere der Sozialdemokraten.
Schon zu Beginn des Krieges gegen Frankreich ließ der Militärbefehlshaber in Norddeutschland am 09. September 1870 den Braunschweiger Ausschuss der SDAP (Parteileitung) verhaften und in die Festung Lötzen verschleppen. Am 17. Dezember 1870 wurden August Bebel und Wilhelm Liebknecht verhaftet und bis zum März 1871 eingekerkert. Auch bürgerliche Demokraten, die gegen die Politik der Regierung auftraten, wurden verhaftet.
Die Unterdrückung der demokratischen Kräfte, insbesondere der Sozialdemokratie, wurde nach dem Kriege fortgesetzt. Zeitungsredakteure wurden verhaftet und ins Gefängnis gesperrt, die Mitglieder des Braunschweiger Ausschusses wegen angeblicher Vergehen gegen die öffentliche Ordnung zu Gefängnisstrafen verurteilt.
Einen vorläufigen Höhepunkt dieser Terrormaßnahmen, die auch der Einschüchterung aller oppositionellen Kräfte dienen sollten, bildete der Leipziger Hochverratsprozess gegen Wilhelm Liebknecht und August Bebel. In diesem Prozess der im März 1872 in Leipzig stattfand, sollte den beiden Arbeiterführern Vorbereitung zum Hochverrat nachgewiesen werden.
Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1982
Liebknecht und Bebel nutzten die Verhandlungen zu einer ausführlichen, leidenschaftlichen Darlegung der Ziele der SDAP und der Grundsätze des Sozialismus. Arbeiterzeitungen und teilweise auch bürgerliche Zeitungen berichteten ausführlich über den Prozess und trugen damit wesentlich zur Ausbreitung der Gedanken und der politischen Grundsätze der revolutionären Sozialisten bei. So wurde der Prozess durch das mutige Auftreten der Angeklagten zu einem Erfolg für die Sache des Sozialismus. Obwohl Liebknecht und Bebel die gegen sie erhobenen Vorwürfe widerlegten und nachwiesen, dass die Sozialdemokraten den Interessen der Nation dienten, wurden sie zu je zwei Jahren Festungshaft verurteilt. Dieses Urteil rüttelte viele Arbeiter auf.
Die Unterdrückung nationaler Minderheiten
Eine besonders brutale Unterdrückungspolitik betreiben die herrschenden Klassen gegenüber den im Deutschen Reich lebenden nationalen Minderheiten. Die preußisch-deutschen Junker und Militaristen gaben vor, diesen Völkern eine „höhere Kultur“ bringen zu wollen. Die richteten aber tatsächlich ihre Bestrebungen darauf, die zu „germanisieren“, das Heißt, die nationalen Minderheiten zu unterdrücken und zu verdrängen. Am stärksten waren die in den von Preußen eroberten Gebieten lebenden Polen betroffen. Die Verwaltung und Rechtsprechung in diesen Gebieten lagen in den Händen preußischer Beamter. In den Ämtern, vor Gericht und in den Schulen wurde die polnische Sprache schrittweise verboten. Die Lehrer demütigten und misshandelten(mobbten) die polnischen Kinder, wenn sie gegen dieses Verbot verstießen. Besondere Ansiedlungsgesetze sollten die polnischen Bauern zwingen, ihr Land zu billigen Preisen zu verkaufen und es preußischen Großgrundbesitzern und Großbauern zu überlassen.

Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1982
Die gleiche Politik der nationalen Entrechtung wurde gegenüber den Sorben betrieben.
In Elsass-Lothringen erhielt die Bevölkerung erst 1874 das Wahlrecht. Preußische Beamte und Offiziere spielten sich als die Herren auf. 42 Jahre nach der Annexion kam es noch zu heftigen Zusammenstößen zwischen der Bevölkerung und Militär, die durch die von preußischen Offizieren an einheimischen Rekruten verübten Schikanen ausgelöst worden waren.

Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1982, bearbeitet von Petra Reichel
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