1. Vorabend der Revolution
Am Ende des 19. Und zu Beginn des 20. Jahrhunderts trat der Kapitalismus in eine neue, die höchste und letzte Etappe seiner Entwicklung: in den Imperialismus ein. In dieser Etappe konzentrierte sich die Industrie in den Händen der größten Kapitalisten oder Vereinigungen der Kapitalisten. Derartige Vereinigungen der größten Kapitalisten nennt man Monopole. Deshalb bezeichnete Lenin den Imperialismus als monopolistischen Kapitalismus. Eine große Rolle begannen die Banken zu spielen, bei denen die Kapitalisten ihre freien Kapitalien deponierten. Die monopolistischen Organisationen und Banken gaben den Industriellen Subsidien (Anleihen)( Kredite. P.R.) und erlangten allmählich entscheidenden Einfluss auf das gesamte wirtschaftliche und politische Leben der kapitalistischen Länder.
Zwischen den kapitalistischen Staaten, aber auch zwischen den einzelnen Vereinigungen der Kapitalisten verschärfte sich der Kampf um die Märkte außerordentlich. Auf der Suche nach neuen Möglichkeiten, ihre freien Kapitalien vorteilhaft auszunutzen, führten die Kapitalisten diese in andere Länder aus. Eines von jenen Ländern, wohin die Kapitalisten ihre Kapitalien exportierten, war das zaristische Russland. Am Ende des 19. Jahrhunderts hatten die ausländischen Kapitalisten in der russischen Industrie und bei den Banken ungefähr eine Milliarde Goldrubel investiert. Die russischen Banken ordneten sich allmählich der Führung der westeuropäischen Banken unter. So gründeten die französischen Banken im Jahre 1901 in Russland die „Nordbank“. Die größte Bank in Deutschland, die DEUTSCHE BANK, brachte die russische ASOW-DON-BANK unter ihren Einfluss. Viele russische Banken verwandelten sich in Filialen der der ausländischen Banken. Die ausländischen Kapitalisten errichteten in Russland neue Unternehmungen. Bald konzentrierten sich in ihren Händen solche entscheidenden Produktionszweige wie die Hüttenindustrie, die Brennstoffindustrie, die Chemische Industrie, aber auch einige Transportzweige. Die ausländischen Kapitalisten erzielten in Russland kolossale Profite, da sie sich hier der billigen Arbeitskraft bedienen und sie schrankenlos ausbeuten konnten. Die zaristische Regierung kam wie den einheimischen, so auch den ausländischen Kapitalisten in allem entgegen.
Von den ausländischen Staaten erhielt die zaristische Regierung, die ständigen Geldbedarf hatte, große Anleihen (Kredite P.R.). Russland hatte allein an Zinsen für diese Anleihen (Kredite P.R.) jedes Jahr 130 Millionen Goldrubel zu zahlen. Auf diese Weise gerieten der russische Zarismus und der russische Kapitalismus immer mehr in die Abhängigkeit von ausländischem Kapital.
Diese Abhängigkeit zeigte sich besonders während der Krise, die am Ende des 19. Und zu Beginn den 20. Jahrhunderts die Industrie einer Reihe von westeuropäischen Staaten erfasste. In Verbindung mit der Krise verminderte sich stark der Zustrom der ausländischen Kapitalien nach Russland. Mit besonderer Stärke traf die Krise jene neuen kapitalistischen Bezirke (Donezbecken, Baku), in denen die Investierungen der ausländischen Kapitalien groß waren. Die Kapitalisten schlossen die Unternehmungen, warfen Tausende von Arbeitern auf die Straße, den verbleibenden Arbeitern aber kürzten sie den Arbeitslohn.
Die Krise hielten nur die ausländischen Unternehmungen aus. Die ausländischen Banken kauften während der Krise die Unternehmungen der ruinierten russischen Kapitalisten auf und setzten sich auf diese Weise in deren Besitz. Dies verstärkte noch mehr die Rolle des ausländischen Kapitals im russischen Wirtschaftsleben.
Die fortschrittlichen Arbeiter, die unter der Krise und der Arbeitslosigkeit litten, begannen zu begreifen, dass die Selbstherrschaft der schlimmste Feind der Werktätigen ist, dass sie das Land zum völligen Verlust seiner Unabhängigkeit führt und die russischen Arbeiter und Bauern in Tributpflichtige der ausländischen Kapitalisten verwandelt. Der Kampf der Arbeiter verstärkte sich in den Krisenjahren und nahm immer häufiger revolutionären Charakter an. Von den ökonomischen Streiks begannen die Arbeiter zu politischen Streiks und später zu Straßendemonstrationen überzugehen. Während der Streiks und Demonstrationen forderten die Arbeiter nicht nur eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, sondern auch Redefreiheit, Versammlungs- und Koalitionsfreiheit und andere demokratische Freiheiten. Dies alles gab es formal schon lange in den bürgerlichen Ländern Westeuropas Die russischen Arbeiter forderten ebenfalls die Schaffung demokratischer Zustände im Lande.
Dass die Arbeiterklasse in Russland zu Beginn des 20. Jahrhunderts schon politisch erwacht war, war bereits zur Zeit der sogenannten „Obuchower Abwehr“ offenbar geworden. Im Jahre 1901 organisierten Arbeiter der Obuchow-Fabrik in Petersburg einen Streik zum 1. Mai. Es kam zu blutigen Zusammenstößen mit den zaristischen Truppen. Da die Arbeiter keine Waffen hatten, bewarfen sie die Gendarmen und Polizisten mit Steinen und Eisenteilen. Der Widerstand der Streikenden wurde gebrochen, aber in ganz Russland wurde die heroische Obuchower Abwehr weit bekannt und erregte die Sympathie sämtlicher Arbeiter.
Eine gewaltige Rolle bei dem politischen Erwachen der Arbeiterklasse und bei den Organisationen ihres Kampfes gegen die Selbstherrschaft, ebenso bei der Schaffung einer proletarischen Partei spielte die erste allgemein-russische Arbeiterzeitung „Iskra“ („Der Funke“). Den Plan ihrer Herausgabe hatte Lenin ausgearbeitet, als er sich noch in der Verbannung in Sibirien befand. Mit Hilfe einer solchen Zeitung hoffte er eine revolutionäre sozialdemokratische Partei zu schaffen. Lenin lehrte, dass die besten fortschrittlichen Arbeiter, die bereit waren ihr Leben dem Kampfe um die Sache der Arbeiterklasse zu weihen, die Partei organisieren sollten. Sie sollten Berufsrevolutionäre werden, d.h. Menschen, für die der revolutionäre Kampf gegen den Zaren und die Kapitalisten Hauptberuf war. Nach dem Ende der Verbannung fuhr Lenin ins Ausland und begann die Heerausgabe der Zeitung vorzubereiten. Im Dezember 1900 erschien die erste Nummer der Leninschen Zeitung „Iskra“. Unter dem Titel der Zeitung waren die Worte gedruckt: „Aus dem Funken wird die Flamme schlagen“.
Für die Verbreitung und Lektüre der „Iskra“ drohte den Arbeitern Gefängnis und Verbannung. Doch das schreckt sie nicht ab, jede Nummer der Zeitung erwarteten sie mit Ungeduld. Die Popularität des Blattes wuchs unter den Arbeitern. „Ich habe vielen Genossen die ‚Iskra´ gezeigt“, schrieb ein Petersburger Arbeiter an die Redaktion, „und die Nummer ist schon ganz zerlesen; aber wie kostbar ist sie doch…Wenn man liest, dann begreift man, warum Gendarmerie und Polizei uns Arbeiter und die Intelligenzler, denen wir folgen, fürchten… Das werktätige Volk kann jetzt leicht in Brand geraten, unten glimmt schon alles, nur ein Funken ist nötig, und schon wird ein Brand entstehen. Ach wie ist das wahr gesagt, dass aus dem Funken die Flamme schlagen wird.“
Die „Iskra“ verbreiteten die treuen Mithelfer Lenins, die Bevollmächtigten oder Agenten der „Iskra“. Bald entstanden in vielen Städten Organisationen der Anhänger der „Iskra“. Dies waren Leninsche Organisationen. In Transkaukasien schuf und leitete J.W. Stalin die „Iskra“-Organisation.
Zu Beginn des Jahres 1901 gelangte die erste Nummer der „Iskra“ nach Tiflis (Tblilissi). Auf Vorschlag J.W. Stalins erklärte das Tifliser Komitee sein volles Einverständnis mit der Leninschen „Iskra“. Im September des Jahres 1901 erschien unter der redaktionellen Leitung Stalins die erste Nummer der illegalen georgischen sozialdemokratischen Zeitung „Brdsola“ („Der Kampf“).
Die Leninsche „Iskra“ fand unter den Bakuer Arbeitern lebhaften und wohlwollenden Anklang. Die fortschrittlichen Vertreter des Proletariats von Baku schrieben an die „Iskra“: „Wir Bakuer Arbeiter haben uns, um den Arbeitern anderer Städte nicht nachzustehen, gemeinsam entschlossen, den ersten Schritt zu dem heiligen Werk zu tun. Wir erinnerten uns an die Antwort Puschkins an die Dekabristen: ‚Aus dem Funken wird die Flamme schlagen‘… Damit aber eine starke Flamme sich entzündet, ist es nötig, dass unsere Funken in der ganzen Stadt umherfliegen, damit auf einmal ein großes Feuer emporlodern kann.“
In Bantum, wohin Stalin im Auftrage des Tifliser Komitees übergesiedelt war, entstand gleichfalls eine sozialdemokratische Arbeiterorganisation der „Iskra“-Richtung. In der Nacht zum 1. Januar 1902 berief Stalin unter dem Deckmantel einer Neujahrsfeier die erste Konferenz der Sozialdemokratischen Zirkel ein. Auf dieser Versammlung wurde ein sozialdemokratisches Komitee geschaffen. Am Schlusse der Versammlung, als der Morgen graute und der erste Strahl der Sonne ins Zimmer drang, sagte Stalin: „Nun ist die Sonne schon aufgegangen. Diese Sonne wird uns bald leuchten. Glaubt daran, Genossen!“
Bald fand unter Stalins Leitung in Batum die erste revolutionäre Demonstration statt. Die Polizei verhaftete 450 Arbeiter und suchte mit allen Mitteln Stalin ausfindig zu machen, jedoch wurde er von den Arbeitern verborgen gehalten. Der Polizei gelang es dennoch, Stalin aufzuspüren und zu verhaften. Im November 1903 wurde er nach dem Dorfe Nowaja-Uda im Gouvernement Irkusk verschickt. Aber nach zwei Monaten flüchtete er aus der Verbannung und kehrte von neuem nach Tiflis zur revolutionären Arbeit zurück.
Der politische Kampf des Proletariats nahm in den Jahren 1902 bis 1903 große Ausmaße an. Eine besonders große Rolle in der politischen Erziehung der Arbeiterklasse spielte der erste Generalstreik in Russland in Rostow am Don im Jahre 1902. Unter der Führung des Donkomitees der Partei wurden außerhalb der Stadt Meetings abgehalten, auf denen zum ersten Mal in der Geschichte Russlands das freie Wort der Sozialdemokraten über die Aufgaben der Arbeiterklasse ertönte. Der Rostower Streik hatte gewaltige Bedeutung für die Hebung des Klassenbewusstseins der Arbeiter nicht nur in Rostow, sondern im ganzen Lande. „Das Proletariat“, schrieb Lenin, „stellt sich zum ersten Male als Klasse allen übrigen Klassen und der zaristischen Regierung gegenüber.“
Im Sommer des Jahres 1903 wurde die mächtige Waffe des politischen Kampfes -der Generalstreik- von den Arbeitern Transkaukasien und der Ukraine angewendet. Lenin schrieb, indem er auf die charakteristischen Besonderheiten und die Bedeutung des Generalstreiks im Süden Russlands hinwies: „Die Streiks ergreifen einen ganzen Bezirk, an ihnen nehmen mehr als 100 000 Arbeiter teil, die politischen Massenversammlungen wiederholen sich während der Streiks in einer Reihe von Städten. Man fühlt, dass wir uns am Vorabend der Barrikaden befinden.“
Die Arbeiterbewegung ermunterte auch die anderen Schichten der Bevölkerung zum politischen Kampfe. In allen Städten fanden Studentendemonstrationen und Streiks statt. In den Dörfern gab es große Bauernunruhen. Besonders massenhaft war die Bauernbewegung in der Ukraine und im Gouvernement Saratow im Jahre 1902, sowie in Gurien (Transkaukasien) im Jahre 1903. Hier nahm sie unter dem Einfluss der transkaukasischen Bolschewiki einen revolutionären Charakter an. Aber im Ganzen genommen war die Bauernbewegung politisch noch nicht vorbereitet. Lenin bemerkte, dass der „Bauernaufstand unterdrückt wurde, weil die ländlichen Proletarier noch kein Bündnis mit den städtischen Proletariern hatten.“
Zu Beginn des Jahres 1903 scharte sich um die Zeitung „Iskra“ eine geschlossene Organisation proletarischer Revolutionäre. Sie bildeten das Rückgrat der revolutionären proletarischen Partei, die von Lenin und Stalin geschaffen wurde. Die „Iskra“-Organisation, die die Mehrheit der sozialdemokratischen Komitees Russlands vereinigt hatte, ging an die Vorbereitung des II. Parteitages, der im Ausland im Sommer 1903 stattfand.
Auf dem Parteitag wurde das von Lenin ausgearbeitete Programm angenommen. Das Programm der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (oder abgekürzt SDAPR) setzte die Ziele fest, wofür die revolutionäre Partei des Proletariats Kämpft und die sie erreichen will. In ihr war gesagt worden, dass die SDAPR danach strebt, die Selbstherrschaft zu stürzen und dem Volke Freiheit zu geben. Das Programm wies darauf hin, dass die Arbeiterklasse die Diktatur des Proletariats (dieser Begriff wird heute missverstanden.P.R.) und dann die sozialistische Gesellschaft errichten muss.
Auf dem Kongress wurde auch das Parteistatut angenommen. Bei dieser wichtigsten Frage kam es zu Meinungsverschiedenheiten. Martow, Trotzkij und ihre Anhänger schlugen vor, in die Partei all jene aufzunehmen, die ihr irgendwelchen Beistand geleistet hatten. Lenin dagegen bestand darauf, dass das Parteimitglied sich persönlich an der Arbeit der Parteiorganisation beteiligt. Auf dem Parteitag ging Martows Vorschlag über die Frage der Parteimitgliedschaft durch. Jedoch bei den Wahlen zu den zentralen Parteiinstitutionen siegten die Anhänger Lenins. Sie erhielten die Mehrheit der Stimmen (russisch „Bolschinstwo“) und wurden seit dieser Zeit Bolschewiki genannt. Die Anhänger von Martow erhielten die Minderheit der Stimmen (russisch: „Menschinstwo“), sie wurden Menschewiki genannt.
Auf dem II. Parteitag war J.W. Stalin nicht anwesend. Er befand sich im Gefängnis. Dort erfuhr er von der Spaltung; er erklärte sich unverzüglich für Lenin und schloss sich den Bolschewiki an.
Auf diese Weise wurde der Grundstein zur Partei der Bolschewiki gelegt. Sie gleich keiner der Parteien der II. Internationale. Es war eine kämpferische Partei der Arbeiterklasse, eine Partei von neuem Typus. Sie bereitete sich auf den revolutionären Kampf vor, zum Sturz des Zaren, der Gutsbesitzer und der Kapitalisten, für Errichtung der Diktatur des Proletariats und für den Aufbau einer neuen sozialistischen Gesellschaft, in der es keine Ausbeutung und Klassenunterdrückung geben würde.
2. Der russisch-Japanische Krieg und die erste russische Revolution
Der revolutionäre Kampf der Volksmassen gegen die Selbstherrschaft hatte das ganze Land ergriffen. Die Regierung bemühte sich nach allen Kräften, dem Ausbruch der schnell herannahenden Revolution zuvorzukommen. Sie rechnete darauf, dass sie diese durch den Krieg mit Japan aufhalten könnte. „Ein kleiner siegreicher Krieg“, sprach der zaristische Minister Plewe, „muss den revolutionären Qualm zerteilen.“ Aber der Krieg beschleunigte nur die Revolution.
Der russisch-japanische Krieg war seinem Charakter nach ein imperialistischer, ein Eroberungskrieg. Er wurde geführt wegen der Aufteilung Chinas und des ganzen Fernen Ostens unter den imperialistischen Staaten. Unter diesen Staaten tat sich durch seine Eroberungsbetrebungen besonderes Japan hervor. Zu jener Zeit wurde Japan von Amerika und England unterstützt. Diese Staaten rechneten darauf, mit Hilfe der Japaner das zaristische Russland zu zerschlagen und China unter sich aufzuteilen. Japan bereitete sich in verstärktem Maße auf einen Krieg mit dem zaristischen Russland vor. Es baute eine große Flotte, schuf eine große Armee und bewaffnete sie gut.
In einer dunklen Januarnacht des Jahres 1904 fiel Japan unerwartet und treubrüchig, ohne Kriegserklärung, über Russland her und griff das russische Geschwader in den Gewässern von Port Arthur an. Es gelang ihm, drei erstklassige russische Schiffe kampfunfähig zu machen und damit für seine eigene Flotte eine vorteilhafte Lage zu schaffen. Es erwies sich, dass das zaristische Russland auf den Krieg nicht vorbereitet war, obgleich zu Beginn die Generale dem Zaren versichert hatten, dass die Russen die Japaner „mit den Mützen zudecken“ würden. Der größere Teil der russischen Schiffe war älteren Typs und technisch schlecht ausgerüstet. Auf den Decks der Schiffe gab es eine Menge hölzerner Aufbauten, die schon bei den ersten japanischen Granaten Feuer fingen. Diese Schiffe nannten die russischen Matrosen „Selbstzünder“ und „Selbstversenker“, und Lenin bezeichnete sie als „alte Koffer“. An die Front wurden um Ersatz Soldaten geschickt, die schlecht ausgebildet waren. Selbst Offiziere verstanden nicht, mit den neuen Kanonen zu schießen. Es fehlte an Proviant, an Waffen, an Granaten, die für einen Krieg mit einem gut vorbereiteten Gegner notwendig waren. Diebische Beamte im Verein mit den Fabrikanten lieferten der Armee Stiefel mit Pappsohlen.
Bald war fast die gesamte südliche Mandschurei von den Japanern erobert. Im Gegensatz zu dem aktiven Angriffsplan der Japaner verhielt sich der Befehlshaber der russischen Armee in der Mandschurei, General Kuropatkin, defensiv.
Nach Norden vorrückend, belagerten die Japaner zugleich die Festung Port Arthur. Die Besatzung der Festung- die Soldaten, Matrosen, Offiziere- kämpften tapfer und schlugen zahlreiche Angriffe der Japaner ab. Zum Flottenbefehlshaber in Port Arthur war der talentierte Admiral Makarow ernannt worden. Sohn eines Seemannes, war er dank seiner hervorragenden militärischen Fähigkeiten emporgestiegen. Makarow war mit aller Macht um die Steigerung der Kampffähigkeit der Flotte bemüht, die sich in Port Arthur befand, und bereitete sich auf entscheidende Seegefechte mit den Japanern vor. Am 31. März 1904 kam er gleich am Anfang der Schlacht auf seinem Flaggschiff, dem Panzerkreuzer „Petropawlosk“, der auf eine Mine gestoßen war, um. Auch der talentierte General Kontratenko tat viel für die Verteidigung Port Arthurs. Jedoch infolge des Verrats des Festungskommandanten, des Generals Stössel, wurde Port Arthur im Dezember 1904 den Japanern übergeben, obwohl noch genügend Kräfte vorhanden waren, um Widerstand zu leisten. In dem Fall Port Arthurs sah Lenin ein Anzeichen für den Sturz des Zarismus selbst. In dem Artikel „Der Fall von Port Arthur“, der am 1. Januar 1905 im Ausland veröffentlicht wurde, enthüllte Lenin die politische Bedeutung der militärischen Niederlagen der Selbstherrschaft in Russland. „Die Verbindung zwischen der militärischen Organisation des Landes und ihrer gesamten wirtschaftlichen und kulturellen Struktur“, schrieb Lenin, „war noch niemals so eng als in der jetzigen Zeit.“
Nach Port Arthur erlitt die zaristische Armee eine schwere Niederlage bei Mukden. Dann wurde die zaristische Flotte in der Meerenge von Tsushima zerschlagen. Die Niederlage von Tsushima bedeutete die völlige Katastrophe.
Die Soldaten und Matrosen zeigten im Russisch-japanischen Krieg den Heldenmut, die Aufopferungsfähigkeit und die hohen kämpferischen Eigenschaften, die der russischen Armee eigen sind. Als die Japaner treuebrüchig das russische Geschwader an der Küste von Korea überfielen, nahmen zwei Schiffe, der Kreuzer „Warjag“ und das Kanonenboot „Korejez“, den ungleichen Kampf mit dem starken japanischen Geschwader auf und ergaben sich nicht, sondern kamen heldenmütig um. Im Februar des Jahres 1904 trat ebenso heldenmütig der russische Torpedobootzerstörer „Stereguschtschij“ zum Kampf mit vier japanischen Torpedobootzerstörern und Kreuzern an, die ihn umzingelt hatten. Als die Japaner der Schiffbesatzung das Ansinnen stellten, sich zu ergeben, antwortete diese, dass sich russische Seeleute nicht gefangen gäben. Der ungleiche Kampf wurde fortgesetzt. Die Japaner beschlossen, den Torpedobootzerstörer mit Gewalt zu nehmen. Als weiterer Widerstand unmöglich geworden war, begaben sich zwei Matrosen in den Kielraum und versenkten durch Öffnung der Ventile das Schiff. Diesen zwei heldenmütigen Matrosen, deren Namen unbekannt geblieben sind, wurde später in Leningrad (heute St. Petersburg P.R.) ein Denkmal errichtet.
Bei der Verteidigung von Port Arthur, ebenso in den Schlachten bei Ljaojan und Mukden vollbrachten die Soldaten und Matrosen viele Heldentaten. Aber das Oberkommando mit seiner talentlosen Leitung machte die heroischen Anstrengungen der Soldaten und Seeleute zunichte.
Die zaristische Regierung, die den Krieg verloren hatte, war gezwungen, mit Japan einen schmachvollen Frieden zu schließen. Japan, das die Schwachheit des zaristischen Russlands ausnutzte, riss das südliche Sachalin und die Kurilischen Inseln an sich, verschloss auf diese Weise für Russland im Osten den Ausgang zum Ozean und schnitt die Verbindungswege mit Kamtschatka und der Tschuktschen-Halbinsel ab.
Der Krieg führte zur Verschärfung der revolutionären Krise in Russland. Vom November des Jahres 1904 an fanden im ganzen Land Demonstrationen gegen den Krieg statt. Der erste Bote der herannahenden Revolution in Russland war der Streik in Baku im Dezember 1904, der von Stalin geführt wurde. „Der Bakuer Streik“, schrieb Stalin, „diente als Signal für die ruhmvollen Januar-Februar-Aktionen in ganz Russland.“
Die Regierung versuchte mit allen Mitteln, die Arbeiter von der Teilnahme am revolutionären Kampfe abzulenken. Die zaristische Ochrana (die geheime politische Polizei) beauftragte ihren Agenten, den Popen Gapon, in Petersburg eine besondere Organisation, den „Verein russischer Fabrik- und Betriebsarbeiter“ zu schaffen, der die Arbeiter vom revolutionären Kampfe ablenken sollte. Gapons Organisation eröffnete Lesehallen mit religiöser und moralsicher Literatur, veranstaltete Vorträge und Vorlesungen mit Lichtbildern über Themen, die von den zaristischen Behörden gebilligt wurden. Aber ungeachtet aller Versuche der Gapon-Leute, die Arbeiter von der Teilnahme an der revolutionären Bewegung abzulenken, setzten die Arbeiter den Kampf gegen die Unternehmer fort. Die Gapon-Anhänger unter den Arbeitern nahmen zusammen mit den anderen Arbeitern an den Streiks teil. Einer dieser Streiks fand in den Putilow-Werken statt. Dieser Streik war hervorgerufen worden durch die Entlassung von vier Arbeitern, die Gapon-Anhänger waren. Capon schlug einen provokatorischen Plan vor: eine Bittschrift an den Zaren zu verfassen und sich mit allen gemeinsam zum Zarenpalast zu begeben, um sie zu überreichen. Die zaristische Regierung hieß Gapons Plan gut, in der Absicht, ein Blutbad unter den Arbeitern anzurichten und die Arbeiterbewegung zu unterdrücken. Die Arbeitermassen hatten ihre Hoffnung auf die Hilfe des Zaren noch nicht aufgegeben. Sie hatten in den Versammlungen die Bittschrift lebhaft erörtert und darin ihre Forderungen und Wünsche zum Ausdruck gebracht.
Indem sie ihre rechtlose Lage schilderten, wandten sie sich in der Bittschrift an den Zaren: „Lehne es nicht ab, Deinem Volke zu Hilfe zu kommen, führe es aus dem Grab der Rechtlosigkeit, des Elends und der Unwissenheit, gib ihm die Möglichkeit, sein Schicksal selbst zu gestalten, befreie es von dem unerträglichen Druck der Beamten. Zerstöre die Mauer zwischen Dir und Deinem Volke, und lasse es mit Dir gemeinsam das Land regieren.“ Das Ende der Bittschrift klang wie eine dumpfe Drohung: „Wenn Du unser Flehen nicht erhörst, werden wir hier auf diesem Platze vor Deinem Palast sterben. Wir wissen nicht, wohin wir sonst gehen sollen und es wäre auch nutzlos. Wir haben nur zwei Wege, entweder in die Freiheit und das Glück, oder ins Grab.“
Die Bolschewiki warnten die Arbeiter, dass man auf sie schießen würde. Sie sagten, dass man die Freiheit nicht vom Zaren erwarten dürfe, sondern erobern müsse.
Am kalten Morgen des 09. Januar gingen mehr als 140 000 Arbeiter auf die Straße. Sie kamen mit Frauen und Kindern. Zu Kolonnen formiert, trugen sie Zaren- und Heiligenbilder und sangen Kirchenlieder. Die Bolschewiki, obgleich sie Gegner des Bittganges zum Zaren waren, ließen die Arbeiter nicht im Stich und gingen mit ihnen gemeinsam in den ersten Reihen.
Die zaristische Regierung hatte sich auf die Beschießung des friedlichen Zuges der Arbeiter nach allen Regeln der Kriegskunst vorbereitet. In der Hauptstadt waren Truppen zusammengezogen worden. Die Stadt war in acht Militärbezirke eingeteilt worden. Die Bezirkschefs und die Kommandeure der Truppenteile erhielten genaue Anweisungen, wo und wann sie auf die Versammelten schießen sollten. Die Arbeiter glaubten nicht an die Möglichkeit eines Blutbades. „Die Soldaten sind der Ordnung halber da“, sagten sie. Aber unerwartet für die Arbeiter, begannen die Truppen die friedliche Prozession zu beschießen. Das Gemetzel begann im Narwabezirk. Ein Augenzeuge beschreibt die blutigen Ereignisse, die sich am Narwator abspielten, folgendermaßen: „Vornweg trug man Kirchenfahnen, Heiligenbilder, ein Kreuz, Zarenbilder und eine weiße Fahne. In den ersten Reihen, fest untergehakt, schritten rings um Gapon die Kühnsten, die Begeistertsten. Die Prozession, welcher Polizei voranging, setzte sich in Marsch und zog sich auf der Chaussee fast auf einige Werst auseinander. Vom Himmel schien die Sonne herab. Man sang: ‚Rette, Herrgott, Dein Volk!‘ Alle sangen mit entblößten Köpfen. Die Polizeibeamten hatten beim Vorbeimarsch der Prozession die Mützen abgenommen. Als die Spitze des Zuges sich bereits dem Narwator näherte, jagte aus dem Tor eine Abteilung Kavallerie in voller Karriere direkt in die Menge. Sie durchbrach die ersten Reihen, machte aber schnell kehrt und schwenkte seitwärts ab, so dass die auf der kleinen Brücke quer und an den Seiten stehende Infanterie sichtbar wurde. Die Menge geriet in Verwirrung. Aber die ersten Reihen schlossen sich sofort wieder, fassten ich bei der Hand und schritten mutig auf die Brücke zu. Ein Hornsignal ertönte. Die Soldaten aus Pskow, die nichts begriffen und kopflos geworden waren, gaben eine Salve ab und ließen Schnellfeuer folgen. Eine unvorstellbare Verwirrung trat in dem Augenblicke ein, als die Leute in den ersten Reihen stürzten und die Heiligenbilder und Kirchenfahnen fallen ließen. Getötet wurden die Greise, die Zarenbilder trugen, und ein Knabe, der eine Kirchenlaterne trug. Fürchterliche Schreie ertönten aus der Menge. Ein Teil lief auseinander, versteckte sich in den benachbarten Höfen. Verirrte Kugeln erreichten sie auch dort. Der andere Teil, getreu dem Eide, nicht abzurücken, drängte in sinnlosem Ungestüm vorwärts. Die von Kugeln Hingemähten stießen im Fallen die anderen um. Gapon fiel gleichfalls hin, von einem der Getöteten aus der ersten Reihe umgerissen. Die ‚treue Wache‘ hob ihn inmitten der allgemeinen Verwirrung auf und warf ihn schnell über einen Zaun. Er verschwand, von keinem bemerkt. In der Menge verbreitete sich das Gerücht, dass er getötet worden sei. Vorn ritt jetzt Kavallerie gegen die Menge, zerstampfte Bilder und Kirchenfahnen und drängte die Menschen – Lebende, Verwundete und Tote – zurück. Hier fielen auf der Stelle einige Dutzend, mehr als hundert wurden verwundet.“
Die Truppen schossen auf die Arbeiter auch in den anderen Bezirken und ließen die Prozession nicht zum Winterpalast durch. Auf dem Platze vor dem Palast war in voller Gefechtsbereitschaft Infanterie aufgestellt. Die zu Bestien gewordenen zaristischen Henker schossen nicht nur auf die Arbeiter, die zum Palaste kamen, sondern sogar auf die Kinder, die aus Neugier auf die Bäume der nächstgelegenen Boulevards und Straßen geklettert waren.
An diesem „Blutigen Sonntag“ verloren die Arbeiter mehr als 3000 Tote und Verwundete. Der Zarismus jedoch hatte nicht nur die Arbeiter erschossen, sondern auch die Reste ihres naiven Glaubens an den Zaren. Am Morgen noch hatten sie gehofft, Hilfe vom Zaren zu erhalten, am Abend aber forderten sie Waffen gegen den Zaren und seine Polizei. „Wir haben keinen Zaren!“ sagten sie und vernichteten die Zarenbilder. Auf der Wassiljewinsel bauten die Arbeiter Barrikaden.
In dem Artikel „Der Beginn der Revolution in Russland“ schrieb Lenin über die Lehren des „Blutigen Sonntags“: „Ja es war eine große Lehre! Das russische Proletariat wird diese Lehre nicht vergessen. Die unvorbereitetsten, die rückständigsten Schichten der Arbeiterklasse, die naiv an den Zaren glaubten und aufrichtig gewünscht hatten, dem Zaren selbst die Bitten des gequälten Volkes friedlich zu überreichen, ihnen wurde eine Lehre erteilt von der militärischen Macht, die unter Leitung des Zaren oder des Onkels des Zaren, des Großfürsten Wladimir stand. Die Arbeiterklasse erhielt eine große Lehre im Bürgerkrieg, die revolutionäre Erziehung des Proletariats schritt an einem Tage soweit voran, wie sie in Monaten und Jahren grauen, unterdrückten Alltagslebens nicht hätte voranschreiten können.“
Die Ereignisse des 09.(22.) Januars 1905 wurden der Anfang der ersten russischen Revolution. Auf die blutigen Gräuel des Zaren antworteten die Arbeiter des zaristischen Russlands mit Streiks, an denen sich 440 000 Arbeiter beteiligten, während in den zehn vergangenen Jahren nur 430 000 Arbeiter gestreikt hatten. Es war dies eine außerordentlich breite Entfaltung der Streikbewegung. Überall fanden Meetings und Demonstrationen statt, die von Zusammenstößen mit der Polizei und den Truppen begleitet waren. Bereits als Ergebnis der Januarstreiks erhob sich die Frage des Übergangs zur höchsten Form des Kampfes: zum bewaffneten Aufstand.
Im Frühling 1905 fand unter Lenins Leitung der III. Parteitag statt. Er arbeitete für die gesamte Partei eine allgemeine Taktik aus, stellte die Hauptlosungen der Revolution auf: demokratische Republik, Enteignung aller Ländereien der Gutsbesitzer und ihre Übergabe zur Nutzung an die Bauernschaft, Einführung des achtstündigen Arbeitstages. Der Parteitag wies darauf hin, dass ihrem Charakter nach in Russland eine bürgerlich-demokratische Revolution stattfände, dass sie sich aber grundlegend von allen früheren europäischen Revolutionen unterscheide. In den bürgerlichen Revolutionen Englands und Frankreichs war die Bourgeoisie die führende Kraft gewesen. Dort hatte die Bauernschaft das Land aus der Hand der Bourgeoisie erhalten. Das Proletariat war noch schwach und unorganisiert gewesen.
Die bürgerliche Revolution in Russland erfolgte unter anderen Bedingungen. Das Proletariat war schon entwickelt, hatte eine Kampfpartei und führte seit langem einen entschlossenen Kampf gegen den Zarismus, gegen die Gutsbesitzer und Kapitalisten. Die Bourgeoisie fürchtete sich vor dem Proletariat und paktierte mit dem Zarismus gegen die revolutionären Arbeiter und Bauern. Auf diese Weise war das russische Proletariat die einzige Kraft, die die Revolution bis zum Ende führen, den Zarismus stürzen und dem Bauern Land geben konnte. Das Proletariat war der Leiter, der Führer der bürgerlich-demokratischen, der Volksrevolution in Russland und die Bauernschaft – sein natürlicher Verbündeter. Nur das Bündnis des Proletariats mit der Bauernschaft unter Führung des Proletariats konnte den völligen Sieg über den Zarismus und die weitere Entwicklung der Revolution sichern.
Ausgehend von einer solchen Auffassung des Charakters und der Treibkräfte der russischen Revolution fasste der Parteitag den Beschluss über die Zulässigkeit der Teilnahme von Bevollmächtigten der Partei an der provisorischen revolutionären Regierung, die berufen würde, die bürgerlich-demokratische Revolution in Russland zu Ende zu führen, eine grundlegende Umwandlung Russlands zu sichern und dem Proletariat den Übergang zu der sozialistischen Revolution zu erleichtern. Dieses Revolutionsprogramm ohne bewaffneten Aufstand zu verwirklichen, war unmöglich. Daher beauftragte der III. Parteitag der Bolschewiki sämtliche Parteiorganisationen, „die energischsten Maßnahmen zur Bewaffnung des Proletariats zu treffen, sowie einen Plan des bewaffneten Aufstandes und seiner unmittelbaren Leitung auszuarbeiten…“ Die Bolschewiki, die sich nach den Beschlüssen des III. Parteitages richteten, waren bestrebt, sich an die Spitze des revolutionären Kampfes der Massen zu stellen, um ihn auf das Gleis eines bewaffneten Aufstandes gegen den Zarismus, der im Kriege ein völliges Fiasko erlitten hatte.
Im Frühjahr und Sommer des Jahres 1905 erhob sich der revolutionäre Kampf der Arbeiter und Bauern auf eine noch höhere Stufe. Besonders kennzeichnend war der Streik der Textilarbeiter in Iwanowo-Wosnessensk. Der Streik begann am 12. Mai und führte 70 000 Arbeiter zum Kampf. Der Kampf war langwierig und verlief einmütig, geschlossen und organisiert. Im Verlaufe des Streiks schufen die Arbeiter einen Sowjet (Rat) der Vertrauensmänner, der faktisch einer der ersten Sowjets von Arbeiterdeputierten in Russland war. Im Sommer 1905 begann ein neuer Aufschwung der Bauernbewegung. Besonders bemerkenswert waren die revolutionären Aktionen im Zentrum Russlands, im Wolgagebiet, in der Ukraine und in Transkaukasien. Die Bauern nahmen das Land der Gutsbesitzer in Besitz und führten die Ernte der Gutsbesitzer weg.
Im Sommer 1905 begannen einzelne Teile der Armee auf die Seite der Revolution überzugehen. Am 14. Juni 1905 brach in der Schwarzmeerflotte, auf dem Panzerkreuzer „Potjomkin“, ein Aufstand aus. Der aufständische Panzerkreuzer kam nach Odessa, wo zu jener Zeit ein Generalstreik der Arbeiter im Gange war. Aber die Menschewiki, die die Odessaer sozialdemokratische Organisation leitete, unterstützten die Matrosen nicht. Sie zögerten. In dieser Zeit wurden Truppen und Artillerie nach Odessa hinzugezogen. Gegen den revolutionären Panzerkreuzer schickte der Zar ein ganzes Geschwader, jedoch weigerten sich die Matrosen der Kriegsschiffe, auf ihre aufständischen Kameraden zu schießen. Das Panzerschiff „Georgij Pobedonossez“ schloss sich sogar den Aufständischen an. Doch bald darauf ergab sich dieses Panzerschiff, dessen Besatzung dem Einfluss ihrer Offiziere unterlag, den Behörden. Der Aufstand auf dem Panzerkreuzer „Potjomkin“ erlitt eine Niederlage, da keine richtige, erfahrene, feste Leitung hatte und defensiven Charakter trug. Ungeachtet der Niederlage hatte der Aufstand auf dem Panzerkreuzer „Potjomkin“ gewaltige Bedeutung. Es war der erste Versuch, den Kern einer revolutionären Armee zu bilden.
Die revolutionäre Bewegung entfaltete sich im Oktober 1905 mit neuer Kraft. Anfang Oktober standen sämtliche Eisenbahnen still. Den Eisenbahnern schlossen sich die Arbeiter der Fabriken und Werke an. Post, Telegraf und Telefon stellten die Arbeit ein. Den Streik unterstützten die Vertreter der Intelligenz: Lehrer, Rechtsanwälte, Ingenieure, Studenten und Angestellte verschiedener Anstalten.
Am 11. Oktober weitete sich der Streik zu einem gesamtrussischen Generalstreik aus. An ihm nahmen ungefähr eine Million Arbeiter und einige hunderttausend Angestellte teil. Das gesamte Leben des Landes kam zum Stillstand. Züge und Dampfschiffe hörten auf zu fahren. Die Fabriken, die Post und der Telegraf arbeiteten nicht. Zeitungen und Zeitschriften erschienen nicht. Die Läden und Restaurants wurden geschlossen. Der Unterricht in den höheren und Mittelschulen hörte auf. Nur die Wasserleitung, Kanalisation und die Krankenhäuser setzten ihre Arbeit fort. Sie arbeiteten auf Befehl der Streikkomitees. Der Generalstreik wurde von der bolschewistischen Partei geleitet, die ihn als Vorspiel zum bewaffneten Aufstand betrachtete. Das Moskauer Komitee der bolschewistischen Partei veröffentlichte einen Aufruf an die Arbeiter, der mit folgendem Appell schloss: „Vom Winterschlaf zum Streik, vom Streik zum bewaffneten Aufstand, vom Aufstand zum Sieg, so ist unser Weg, der Weg der Arbeiterklasse. Kühner, Genossen, vorwärts zum Kampf für die Volksbefreiung!“
Auf den Meetings und Versammlungen hielten die Arbeiter revolutionäre Reden und erhoben ihre dringenden Forderungen. Gemeinsam mit der gesamten Arbeiterklasse nahm an dem Oktoberstreik die arbeitende Jugend teil. Die Nöte der Arbeiterjugend fanden ihren Widerhall in den allgemeinen Forderungen der Arbeiter. Die Arbeiter bestanden darauf, dass in gesundheitsschädlichen Betrieben keine Kinderarbeit zugelassen werden dürfe, dass die Lehrzeit abgekürzt werden müsse und die Arbeitgeber nicht das Recht haben sollten, die Lehrlinge für persönliche Dienstleistungen und Nebenarbeiten zu verwenden, dass in den Fabriken Schulen und Abendkurse eingerichtet werden und der Unterricht für alle Arbeiterkinder unentgeltlich sein sollte. Die Arbeiterjugend half den fortschrittlichen Arbeitern, jene Fabriken und Werke stillzulegen, die sich nicht sofort den Streikenden anschlossen. Bei den revolutionären Demonstrationen schritten die jugendlichen Arbeiter in den ersten Reihen. Sie trugen rote Fahnen und sangen laut revolutionäre Lieder: die „Marseillaise“ und „Kühn, Genossen, haltet Schritt“. Die zaristische Regierung versuchte anfangs den Streik mit Waffengewalt zu unterdrücken. Aber sie hatte bereits nicht mehr die Kraft, die Bewegung zum Stehen zu bringen. Von dem Generalstreik eingeschüchtert, erließ der Zar am 17. Oktober ein Manifest, indem er dem Volke die demokratischen Freiheiten: Rede- und Pressefreiheit, Freiheit der Versammlungen und Koalition „schenkte“. Der Zar versprach, eine Reichsduma einzuberufen und ihr das Recht einzuräumen, Staatsgesetze auszuarbeiten. Die Bourgeoisie begrüßte den Erlass des Manifestes vom 17. Oktober mit Jubel. Sie hielt ihr Ziel für erreicht. Die kleinbürgerlichen Parteien: die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre (sozialrevolutionär hieß diejenige Partei, die die Interessen der Kulaken{Großbauern P.R}verteidigte) erklärten, dass der Zarismus vor dem Volk kapituliert habe. Nur die Bolschewiki warnten die Arbeiter: „Der Zar hat noch lange nicht kapituliert, die Selbstherrschaft hat durchaus noch nicht aufgehört zu existieren. Sie hat nur den Rückzug angetreten.“ Das Manifest vom 17. Oktober war ein Betrug an den Volksmassen. Dieser Winkelzug war dem Zarismus nötig, um Kräfte zu sammeln und dann gegen die Revolution loszuschlagen. Verhaftungen, Erschießungen, bestialische Massenmorde, Pogrome- alles dies brachte das Manifest des Zaren vom 17. Oktober dem Volke in der Tat. Im Volke war über das Zarenmanifest das Liedchen im Umlauf:
„Der Zar in seinem Schrecken erließ ein Manifest: Den Toten gab er Freiheit, den Lebenden – Arrest!“
In den Tagen der sogenannten „Freiheiten“ waren dunkle Kräfte hemmungslos am Werk: die zum Schutze des Zarismus und zum Kampf gegen die Revolution geschaffenen Banditenabteilungen, die „Schwarzen Hundertschaften“. Am Tage nach dem Erlass des zaristischen Manifestes, am 18. Oktober 1905, begab sich eine große Menge Moskauer Arbeiter zum Tagankagefängnis, um aus ihm die politischen Gefangenen zu befreien. An ihrer Spitze schritt einer der angesehensten Moskauer Bolschewiki, ein Schüler und Waffengefährte Lenins, Nikolaj Bauman. Auf dem Wege schlug ihm ein Angehöriger der „Schwarzen Hundert“ mit dem Bruchstück einer Eisenröhre über den Kopf und verletzte ihn tödlich. Der Mord an Bauman löste größte Empörung unter den Werktätigen Moskaus und ganz Russlands aus. Baumans Leichenzug gestaltete sich zu einer grandiosen Demonstration.
In den stürmischen Tagen des politischen Generalstreiks schuf die Arbeiterklasse eine Organisation, die in der Revolution eine große Rolle spielen sollte: die Sowjets der Arbeiterdeputierten. Die entscheidende Rolle hätte in der Revolution des Jahres 1905 der Petersburger Sowjet der Arbeiterdeputierten spielen müssen. Jedoch im Petersburger Sowjet hatten die Menschewiki die Übermacht, die seine Umwandlung in ein Organ der revolutionären Gewalt und die Vorbereitung des bewaffneten Aufstandes in Petersburg verhinderten.
Eine ganz andere Rolle spielte in der Revolution der Moskauer Sowjet, der von den Bolschewiki geleitet wurde. Der Moskauer Sowjet war im November geschaffen worden. Damals entstanden auch einige Bezirkssowjets, mit denen der Moskauer Sowjet eng verbunden war. Er rief die Moskauer Arbeiter, die Bauern und Soldaten auf, ihre Kräfte zum „bevorstehenden Entscheidungskampf“ zu vereinigen, und begann unter der Leitung der Bolschewiki den bewaffneten Aufstand praktisch vorzubereiten.
Im November 1905 kehrte Wladimir Iljitsch Lenin nach Russland zurück. Er leitete die Vorbereitung des bewaffneten Aufstandes. Auf Lenins Anweisung verschafften sich die Parteiorganisationen Waffen, schufen Arbeiterkampfscharen, bewaffneten die Arbeiter und unterrichteten sie im Waffengebrauch. Im Dezember 1905 wurde zwecks Besprechung von Fragen, die mit dem Aufstand zusammenhingen, in Tammerfors (Finnland) eine Parteikonferenz einberufen. Auf dieser Konferenz begegneten sich Lenin und Stalin zum ersten Male persönlich. Während der Arbeiten der Konferenz traf die Nachricht ein, dass in Moskau der Aufstand begonnen habe. Lenin schlug den Delegierten vor, sofort zu ihren Ortsorganisationen zurückzukehren und die Leitung des Aufstandes zu übernehmen.
Am 07. Dezember früh begann in Moskau der Generalstreik. Die Arbeiter traten organisiert, geschlossen und einmütig auf. Ein lebendiges Bild von dem Beginn des Aufstandes zeichnen die „Nachrichten des Moskauer Sowjets“: „Noch niemals ist das Moskauer Proletariat in solcher Eintracht, als eine drohende und mächtige Armee aufgetreten. Auf Beschluss des Sowjets der Arbeiterdeputierten und der revolutionären Parteien standen um 12 Uhr mittags fast sämtliche wichtigen Fabriken und Werke Moskaus still. Sie standen von sich aus still, ohne Zwang, ohne Drohungen, nicht aus Furcht, sondern deshalb, weil die Stunde des Entscheidungskampfes gekommen war. Mit roten Fahnen, mit dem Gesang revolutionärer Lieder, mit dem Schwur, bis zum Ende zu kämpfen, gingen die Arbeiter auseinander.“
Die in Schrecken versetzte Regierung verhängte über Moskau den Ausnahmezustand. In der Nacht vom 06. Zum 07. Dezember wurde das Moskauer Komitee der bolschewistischen Partei, die die Vorbereitung des Aufstandes leitete, verhaftet. Die Leitung des Aufstandes ging auf die Bezirke über.
In den Tagen des Dezemberaufstandes war der Stadtbezirk Prensja am revolutionärsten. Am 09. Dezember bedeckte sich ganz Prensja mit Barrikaden. Eine große Rolle beim Aufstand in Prensja spielte die gut bewaffnete und gut ausgebildete Kampfschar der Fabrik Schmidt. Prensja befand sich faktisch in den Händen der Arbeiter. Die Polizei war aus dem Bezirk verjagt worden. Das ganze Leben des Bezirks leitete das Revolutionäre Komitee, das aus den Deputierten des Moskauer Sowjets gebildet worden war. Der Bezirkssowjet genoss außerordentlich große Autorität. Die Bevölkerung wandte sich an ihn in allen Arten von Eingaben, Bitten und Beschwerden.
Gemeinsam mit den erwachsenen Arbeitern nahm am bewaffneten Kampf auch die Arbeiterjugend teil. Folgendes erzählt darüber Litwin-Sedoj, einer der Teilnehmer und Organisatoren des Moskauer bewaffneten Aufstandes: „Die Arbeiterinnen und die Jugend standen hinter den erwachsenen Arbeitern nicht zurück. Sie bauten Barrikaden, gingen auf Patrouille, verwahrten bei sich zu Hause Proklamationen und Waffen, besonders waren es die Schüler der Prochorow-Schule und der Komissarower Technischen Schule.“ Die Halbwüchsigen der Trjochgornaja-Fabrik halfen den Arbeitern Barrikaden bauen. Der eine schleppte einen Kübel heran, ein anderer Holzscheite und Steine, ein dritter zerrte in die Mitte der Straße allerlei Gerümpel, Laternenpfähle und Telefonmasten, Türen und eiserne Zäune. Die jungen Arbeiter beteiligten sich aktiv an der Entwaffnung der zaristischen Truppen, der Polizisten und Gendarmen.
In seinem Artikel „Die Lehren des Moskauer Aufstandes“ schildert Lenin, wie in Prensja zwei jugendliche Arbeiterinnen, die in der Menge von Zehntausenden die rote Fahne trugen, sich den Kosaken entgegengeworfen hätten mit dem Schrei: „Schlagt uns tot! Wir werden die Fahne nicht lebend hergeben!“ Die Kosaken gerieten in Verwirrung und sprengten davon.
Einer der Augenzeugen und Teilnehmer des Aufstandes erzählt von einem ähnlichen Fall auf dem Strastnaja-Platz. Ein junger Arbeiter aus der Menge der Demonstranten wandte sich an die Kosaken mit einer Rede: „Brüder, Genossen, Kosaken!“ begann er. Der Jüngling begann zusammenhanglos und erregt, aber mit großer Begeisterung und Freimütigkeit die Kosaken zu überreden, nicht zu schießen und auf die Seite des Volkes überzugehen.
Der einmütige Aufstand der Moskauer Arbeiter rief in den Regierungskreisen eine Panik hervor. Admiral Dubassow, der mit der Niederschlagung des Moskauer Aufstandes beauftragt worden war, überschüttete den Zaren mit Telegrammen, in denen er dringend um Herbeisendung von Verstärkungen bat. Die Nikolaj-Eisenbahn, die Petersburg mit Moskau verband, streikte nicht, und der Zar sandte Dubassow Unterstützung. In der Nacht zum 15. Dezember kamen in Moskau ungefähr 2000 Soldaten des Semjonower Garderegimentes an. Die Semjonower fingen an, Prensnja mit Artillerie zu beschießen. Die Fabriken Schmidt und Mamontow wurden in Brand gesetzt. Am 18. Dezember umzingelten die Truppen den gesamten Bezirk der Prochorower Manufaktur (später Krasnopresnjenskaja, Trjochgornaja). Der Sowjet, der den Mangel an Kräften für einen weiteren Widerstand in Betracht zog, beschloss am 19. Dezember, den Aufstand zu beendigen. Den Kampfschärlern war befohlen worden, einzeln oder in Gruppen Presnja zu verlassen. Der Lokomotivführer Uchtomskij führte unter Kugelhagel aufopferungsbereit die Kampfschärler aus Moskau fort. Uchtomskij wurde bald daraufhin von den zaristischen Behörden ergriffen und erschossen.
Die Prochorower Manufaktur wurde von Truppen besetzt. Über die Aufständischen wurde ein Feldgericht eingesetzt, das gleich hier, im Fabrikkontor tagte. Die Urteilssprüche wurden im Fabrikhofe vollstreckt. Viele Arbeiter wurden ohne jedwedes Gericht erschossen. Die zaristischen Gendarmen rechneten besonders grausam mit den jugendlichen Teilnehmern des Aufstandes ab.„Die zaristischen Behörden rächten sich für jenen Schrecken, die die Arbeiter ihnen eingeflößt hatten. Besonders grausam rächten sie sich an der Trjochgorka und an den Schülern der Prochorower Schule“, erinnert sich Litwin-Sedoj. An diesem Tage schrieb der Zar in sein Tagebuch: „In Moskau ist Gott sei Dank der Aufstand mit Waffengewalt unterdrückt worden.“ Die Bourgeoisie begrüßte die Unterdrückung des Aufstandes.
Die Moskauer Arbeiter hatten eine Niederlage deshalb erlitten, weil die Truppen noch nicht auf ihrer Seite standen. Die aufständischen Arbeiter hatten nicht mit jener Entschlossenheit um das Herüberziehen der Truppen auf ihre Seite gekämpft, die notwendig war, um den Sieg zu sichern. Sie hatten zu wenig Waffen gehabt und waren als Verteidiger, aber nicht als Angreifer aufgetreten.
Die Menschewiki und die Bolschewiki schätzten den bewaffneten Dezemberaufstand verschieden ein. Der Menschewik Plechanow war der Partei vor: „Man hätte nicht zu den Waffen greifen sollen!“ Lenin erwiderte: „Im Gegenteil, man hätte noch entschlossener, energischer und offensiver zu den Waffen greifen, hätte den Masen die Unmöglichkeit eines bloß friedlichen Streiks und die Notwendigkeit eines furchtlosen und rücksichtslosen bewaffneten Kampfes klarmachen müssen.“
Ein bewaffneter Aufstand fand nicht nur in Moskau statt. In einer Reihe von Städten Russland erhoben sich die Arbeiter ebenfalls, um die zaristische Macht zu stürzen. Unter der Bauernschaft kam es zu ununterbrochenen Unruhen. Es erhoben sich auch die unterdrückten Völker der Grenzgebiete des zaristischen Russlands. Aber alle dies Aufstände hatten keinen gemeinsamen Plan, kein führendes Zentrum. Der Moskauer Aufstand verwandelte sich nicht in einen einheitlichen allrussischen Ausbruch. „Der Dezemberaufstand war zersplittert und unorganisiert“, schrieb J.W. Stalin. „Als Moskau auf den Barrikaden kämpfte, bewahrte Petersburg Schweigen; Tiflis und Kutais bereiteten sich zum Sturm vor, als Moskau bereits ‚unterworfen‘ war, Sibirien griff zur Waffe, als der Süden und Lettland ‚besiegt‘ waren – und das bedeutet, dass die Revolution das kämpfende Proletariat in Gruppen zersplittert fand, weshalb es der Regierung verhältnismäßig leicht war, ihm eine ‚Niederlage‘ beizubringen.“
Die Niederlage des Dezemberaufstandes gab dem Zarismus die Möglichkeit zum Angriff überzugehen Nach Sibirien, Polen, nach dem Baltikum, nach Transkaukasien wurden Strafexpeditionen geschickt. Dort, wo die Bauern an den Aufständen teilgenommen hatten, zündeten die Strafabteilungen die Dörfer an und prügelten die Einwohner. Besonders grausam war die Abrechnung mit dem Volke Lettlands, wo die Strafabteilungen von deutschen Baronen befehligt wurden. Bei dieser Abrechnung kamen mehr als 10 000 lettische Arbeiter und Bauern um. Als man dem Zaren meldete, dass einer der Offiziere die auf dem Schnee sich krümmenden verwundeten Letten erschossen habe, schrieb Nikolaj II. auf den Bericht: „Ein Prachtkerl!“
In einem Gouvernement nach dem anderen wurde der Kriegszustand oder der der Zustand des außerordentlichen Schutzes verhängt. Die Militärgerichte verschickten die einen zur Zwangsarbeit, über die anderen wurden Todesurteile gefällt. Neben den Truppen und der Polizei betätigten sich auch die von der Regierung aufgemunterten bewaffneten monarchistischen Organisationen: der „Bund des russischen Volkes“ und der „Bund des Erzengels Michael“.
Gemeinsam mit der zaristischen Regierung und den Schwarzhunderten war auch die Bourgeoisie am Werk. Sie rächte sich an den Arbeitern für die Revolution und gab sie der Arbeitslosigkeit und dem Hunger preis. Die Kapitalisten stellten „Schwarze Listen“ auf, in die die klassenbewusstesten und revolutionärsten Arbeiter eingetragen wurden, und vereinbarten, sie in keinem ihrer Unternehmen zu beschäftigen. (Das kennen wir ja heute auch noch. P.R.)
Aber ungeachtet des furchtbaren Terrors zogen sich die Arbeiter und Bauern nur langsam kämpfend zurück. Die Streiks dauerten an. Im Jahre 1905 nahmen am Kampf 2 863 000 Streikende teil, im Jahre 1906 1 108 000, im Jahre 1907 740 000. Diese Zahlen bezeugen, dass das Proletariat seinen heroischen Kampf um die Freiheit fortsetzte. Die Bauernbewegung dauerte in den Jahren 1906 bis 1907 ebenso an, stellenweise verstärkt sie sich sogar. Besonders häufig waren Streiks der landwirtschaftlichen Arbeiter. Aber die Bauernaufstände waren nach wie vor spontan und erlitten Niederlagen, da sie einer systematischen Führung durch die Arbeiter entbehrten.
Auch die nationale Befreiungsbewegung entfaltete sich in breitem Maße. Im Baltikum und in Transkaukasien fanden in den Jahren 1906 bis 1907 regelrechte Schlachten statt. Zugleich mit der Unterdrückung der Revolution durch Waffengewalt beschritt die zaristische Regierung den Weg der „Unterdrückung der Volksfreiheit mit Hilfe einer monarchistischen ‚Konstitution‘“ (Lenin). Während des Dezemberaufstandes wurde das Gesetz über die Wahlen zur Reichsduma veröffentlicht. Dieses Gesetz war erlassen worden, um das Volk zu betrügen. Es gewährte das Wahlrecht in der Hauptsache den besitzenden Klassen, den Arbeitern und Bauern wurde es beschnitten.
Im April 1906 berief die zaristische Regierung die Erste Reichsduma ein. Die Mehrheit in ihr setzte sich aus Vertretern der Gutsbesitzer und Kapitalisten zusammen, die sich der bürgerlichen Partei der Konstutionellen Demokraten (der Kadetten) anschlossen. In der Duma wurde aber auch eine beträchtliche Anzahl von Bauern gewählt. Die Kadetten wollten die Bauern betrügen. Daher gaben sie sich den Anschein, als ob sie Anhänger einer Landverteilung an die Bauern „gemäß einer gerechten Einschätzung“ wären. Die Bauerndeputierten jedoch brachten ihren eigenen Entwurf eines Bodengesetzes ein, worin sie die Forderung aufstellten, das Grundeigentum der Gutsbesitzer abzuschaffen. Die zaristische Regierung erschrak vor dieser Forderung und beeilte sich, die Erste Duma aufzulösen. Aber die Zweite Reichsduma wies noch mehr Vertreter der Bauernschaft auf. Den Arbeitern gelang es, in die Duma 65 Sozialdemokraten zu schicken.
In der Duma wurden Reden gehalten, die dem Zaren und den Gutsbesitzern missfielen. Einmal hielt ein Vertreter der Gutsbesitzer eine Rede, in der er die Bauern überreden wollte, den Kampf um Grund und Boden aufzugeben. „Die graue, dunkle bäuerliche Masse ohne Gutsbesitzer“, sagte er, „das ist eine Herde ohne Hirten.“ „Genug ihr Herren Hirten“, antwortete ihm ein Bauerndeputierter. „Bis auf den heutigen Tag trauert ihr der Leibeigenschaft nach und wünscht sie euch zurück. 300 Jahre habt ihr uns für eine Herde gehalten, und wir haben eure Peitsche noch sehr wohl in Erinnerung.“ Ein anderer Bauer sagte einfach: „Man muss das Land sofort den Gutsbesitzern abnehmen!“ Solches Auftreten flößte den zaristischen Behörden Furcht und Schrecken ein. Und die Regierung, an deren Spitze der Großgrundbesitzer Stolypin stand, jagte am 03. Juni 1907 die Zweite Duma auseinander. Die zaristische Regierung veröffentlichte ein neues Wahlgesetz, das die Rechte der Arbeiter und Bauern noch mehr beschnitt und in Wirklichkeit eine Ablehnung des Manifestes vom 17. Oktober war. Den Tag des 03. Juni 1907 pflegt man als Tag des Staatsstreiches vom 03. Juni zu bezeichnen.
Der Staatsstreich vom 03. Juni bedeutete eine vorrübergehende Niederlage der Revolution. In der Revolution der Jahre 1905 bis 1907 hatte sich noch kein festes Bündnis der Arbeiter und Bauern gebildet, und dies war eine der Hauptursachen der Niederlage. Die Armee ging nicht auf die Seite der Arbeiter über und half der Regierung, die Revolution zu unterdrücken. Die Arbeiter handelten nicht einmütig und organisiert genug. Die Menschewiki-die Verräter der Arbeiterklasse-hatten noch auf einen bedeutenden Teil der Arbeiterklasse Einfluss, sie spalteten das Proletariat und hemmten die Revolution. Der zaristischen Regierung halfen auch die europäischen Kapitalisten, die um das Schicksal ihrer in der russischen Industrie investierten Kapitalien bangten. Sie gewährten dem Zaren Anleihen (Kredite P.R.).
Die erste russische Revolution stellt einen wichtigen Richtpunkt in der Geschichte Russlands dar. Während der Jahre 1905 bis 1907 machte die Arbeiterklasse und die Bauernschaft eine so erfahrungsreiche Schule der politischen Erziehung durch, wie sie sie im Verlaufe von Jahrzehnten gewöhnlicher friedlicher Entwicklung nicht hätte durchmachen können. Die Revolution hatte den Volksmassen gezeigt, dass der Zarismus der geschworene Feind des Volkes war, dass die liberale Bourgeoisie nicht das Volk, sondern die Selbstherrschaft unterstützt, und dass nur die Arbeiterklasse der wirkliche und konsequenteste Führer der Revolution ist. Die Revolution hat auch gelehrt, dass die werktätige Bauernschaft trotz ihrer Schwankungen dennoch die einzige ernsthafte Kraft darstellte, die fähig war, mit der Arbeiterklasse ein Bündnis einzugehen und dass von der Dauerhaftigkeit und der Stärke des Bündnisses der Arbeiter und Bauern der völlige und endgültige Sieg über den Zarismus abhängig war. Die Arbeiter und Bauern überzeugten sich auch, dass die bolschewistische Partei, die den Werktätigen den sicheren Weg des Kampfes gewiesen hat, ihr wirklicher Führer ist. Die Revolution von 1905 bis 1907 spielte eine gewaltige historische Rolle in der Vorbereitung der Großen Proletarischen Revolution. Lenin schrieb, dass „ohne die ‚Generalprobe‘ des Jahres 1905 der Sieg der Oktoberrevolution im Jahre 1917 nicht möglich gewesen wäre“.
Die erste russische Revolution hatte eine große internationale Bedeutung. Sie zeigte, dass der Schwerpunkt der internationalen revolutionären Bewegung sich endgültig nach Russland verlagert hatte. Das russische Proletariat gab das Beispiel eines entschlossenen und selbstlosen Kampfes um die Freiheit und begeisterte das internationale Proletariat zu einem neuen revolutionären Kampfe. Lenin sagte, dass die Arbeiter Europas unter dem Einfluss der russischen Revolution geistig erwacht seien. Bis zur Revolution des Jahres 1905 hatten die europäischen sozialistischen Parteien den Generalstreik abgelehnt und den bewaffneten Kampf des Proletariats in den modernen Städten für unmöglich gehalten. Nach der russischen Erfahrung überzeugten sich die fortschrittlichen Arbeiter Europas und der ganzen Welt von der Irrigkeit solcher Ansichten. In einer Reihe von Ländern, besonders in Österreich-Ungarn, begannen politische Streiks und Demonstrationen zum Schutze des allgemeinen Wahlrechtes. (In Deutschland ist heutzutage der politische Streik verboten. Es gab Vorstöße in den Gewerkschaften dies zu ändern, doch die Führung der Gewerkschaften hat dies sofort unterdrückt. Die Herrschenden haben anscheinend viel Angst davor, obwohl im heutigen Deutschland wahrlich weit und breit keine revolutionäre Situation akut ist. P.R.)
Einen noch unmittelbaren Einfluss übte die russische Revolution auf die Erweckung der Völker Asiens aus. Den Völkern Irans, der Türkei und Chinas, die den revolutionären Weg betraten, diente der entschiedene Kampf der russischen Arbeiter und Bauern gegen die Selbstherrschaft und Leibeigenschaft als Vorbild. (Im Iran und in der Türkei sind nun die Spuren der Revolution verwischt. In China ist es so ein Mittelding. Einerseits gab es zwar eine Revolution und eine kommunistische Partei ist formal an der Macht, doch sind viele kapitalistische Elemente vertreten und das ausländische Kapital bekommt viel Spielraum, wie z.B. mit billigen Arbeitskräften produzieren zu lassen. China ist einer ständigen Veränderung unterworfen und Außenstehende haben da keinen rechten Einblick. P.R.)
Entnommen aus dem ersten Band „Das Sowjetland“, erschienen im Jahre 1947. Original-Autorin Anna Michailowna Pankratowa, bearbeitet von Petra Reichel
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