Der deutsch-französische Krieg von 1870/71 und die Gründung des Deutschen Reiches

Der deutsch französische Krieg von 1870/71

Von Bismarck bewusst dazu herausgefordert, erklärte der französische Kaiser Napoleon III. am 19. Juli 1870 Preußen den Krieg. Preußen hatte sich gut auf diesen Krieg vorbereitet. Um ganz Deutschland unter seine Vorherrschaft zu bringen und die süddeutschen Staaten ebenfalls in den deutschen Nationalstaat einzubeziehen, musste der Widerstand Napoleons III. überwunden werden.

Napoleon III. seinerseits wollte die Einigung Deutschlands verhindern, weil die französische Bourgeoisie die Stärkung ihrer deutschen Konkurrenz nicht wünschte. Napoleon III. hoffte, durch einen außenpolitischen Erfolg seine Herrschaft in Frankreich zu festigen, die durch den wachsenden Widerstand des französischen Volkes bedroht wurde.

Nicht nur Preußen und der Norddeutsche Bund, sondern auch die süddeutschen Staaten, die zuvor geheime Militärbündnisse mit Preußen abgeschlossen hatten, traten in den Krieg ein. Die französische Kriegserklärung bewirkte, dass das deutsche Volk unter dem Oberbefehl preußischer Generale in dem Bewusstsein kämpfte, sein Vaterland gegen den Angriff der Napoleonischen Truppen zu verteidigen. Von den herrschenden Klassen wurde der Krieg im Interesse der Reaktion ausgenutzt.

Als am 19. Juli im Reichstag des Norddeutschen Bundes über die Bewilligung des notwendigen Geldes für den Krieg, über die Kriegskredite, abgestimmt wurde, enthielten sich die Abgeordneten der Arbeiterklasse August Bebel und Wilhelm Liebknecht der Stimme.

 

Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1982

Unerwartet schnell drangen die vereinigten Truppen des Norddeutschen Bundes und der süddeutschen Staaten in Frankreich ein. Nach mehreren blutigen Schlachten wurde die französische Hauptarmee in die Festung Sedan zurückgeworfen. Hier wurde sie am 02. September 1870 zur Kapitulation gezwungen. Napoleon III. geriet in deutsche Gefangenschaft. Das französische Volk erzwang am 04. September die Absetzung Napoleons III. und die Ausrufung der Republik.

Bis zur Kapitulation von Sedan war der Krieg von deutscher Seite ein gerechter Krieg um die Herstellung eines einheitlichen Nationalstaates. Aber die herrschenden Klassen Deutschlands setzten den Krieg auch nach dem 02. September fort: Junker und Bourgeoisie wollten Frankreich schwächen, Gebiete erobern und hohe Kriegsentschädigungen vom französischen Volk erpressen. Jetzt zeigte sich, wer an die Spitze der deutschen Nation getreten war. Der Charakter des Krieges wandelte sich: Er wurde in dieser zweiten Etappe zum ungerechten Raub- und Eroberungskrieg gegen das französische Volk.

Schauplatz des deutsch-französischen Krieges 1870/71
Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1982

Nach der Schlacht bei Sedan rückten die deutschen Truppen weiter in Frankreich ein. Obwohl sich das französische Volk heldenhaft wehrte, besetzten die deutschen Truppen große Teile des Landes. Paris wurde belagert. Die Werktätigen von Paris bewaffneten sich; sie waren zur entschlossenen Verteidigung der französischen Hauptstadt und ganz Frankreichs bereit. Da jedoch die französische bürgerliche Regierung das bewaffnete Volk mehr fürchtete als den Feind, schloss sie am 28. Januar 1871 mit Bismarck einen Waffenstillstand.

Die Haltung der deutschen Arbeiterklasse zum Krieg gegen Frankreich nach dem Sturz Napoleons III.

Karl Marx wandte sich in einer Adresse des Generalrates der I. Internationale entschieden gegen den Raubkrieg. Er forderte die deutschen Arbeiter auf, für den Abschluss eines gerechten Friedens mit Frankreich zu kämpfen, für einen Frieden ohne Gebietsabtrennungen.

August Bebel und Wilhelm Liebknecht bewährten sich auch in dieser Situation. Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei rief zu Massenversammlungen und Demonstrationen gegen die Fortführung des Unterdrückungskrieges gegen das französische Volk auf und verlangte den sofortigen Abschluss eines Friedensvertrages mit Frankreich. Die klassenbewussten Arbeiter folgten dem Aufruf. Protestversammlungen fanden in Augsburg, Bielefeld, Chemnitz und vielen anderen Städten und Gemeinden Deutschlands statt.

Bebel und Liebknecht verlangten am 26. November 1870 im Reichstag des Norddeutschen Bundes, die für die Fortsetzung des Krieges geforderten Gelder abzulehnen. Sie wandten sich scharf gegen den Raub französischer Gebiete und forderten sofortigen Frieden mit Frankreich.

Mit ihrer mutigen, vom proletarischen Internationalismus bestimmten und gegen Junkertum und Bourgeoisie gerichteten Haltung vertraten Bebel, Liebknecht und die klassenbewussten Arbeiter die Ehre und zugleich die Lebensinteressen der deutschen Arbeiterklasse und der deutschen Nation.

Die Gründung des Deutschen Reiches im Jahre 1871

Unmittelbar nach der Niederlage Napoleons III. begann Bismarck, mit den Fürsten der süddeutschen Staaten über die Vollendung der Einigung Deutschlands von oben zu verhandeln. Es war nicht einfach, ihr Einverständnis zu erreichen, denn sie fürchteten, ihre bisherige Machtstellung zu verlieren. Erst nach langem Drängen erklärte sich der bayrische König bereit, dem preußischen König Wilhelm I. im Namen der deutschen Fürsten und Freien Reichsstädte die Kaiserkrone anzubieten.

Die Kaiserproklamation Wilhelms I. (Gemälde von Anton von Werner, 1877, Ausschnitt)

Beachte auf dem Gemälde die anwesenden Personen! Was fällt Dir dabei auf?

Bild entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1982

Am 18. Januar 1871 wurde der ehemalige „Kartätschenprinz“ von 1849, der die Revolution und damit die demokratische Einigung Deutschlands militärisch niedergeworfen hatte, im Versailler Schloss als Wilhelm I. zum deutschen Kaiser ausgerufen. Zur gleichen Zeit waren August Bebel und Wilhelm Liebknecht wegen „Vorbereitung des Hochverrats“ im Leipziger Untersuchungsgefängnis eingekerkert, weil sie entschieden für die demokratische Umgestaltung Deutschlands durch eine „Revolution von unten“ und gegen den Annexionskrieg gegen das französische Volk eintraten.

Damit wurde das Ergebnis des deutsch-französischen Krieges im Jahre 1871 die Gründung des Deutschen Reiches unter der Vorherrschaft Preußens vollzogen. Die Gründung des Deutschen Reiches bedeutete insofern einen historischen Fortschritt, da sie aus dem Feudalismus stammende jahrhundertelange territoriale Zersplitterung Deutschlands endlich überwunden wurde

(siehe farbige Karte „Mitteleuropa im Jahre 1871“, s. 80)

Damit wurde die rasche kapitalistische Entwicklung vorangetrieben.

Mitteleuropa im Jahre 1871
Bild entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1982

Nunmehr konnte auch die Arbeiterklasse ihre Kräfte besser sammeln und sich im nationalen Rahmen organisieren. Es war jedoch ein Verhängnis für das deutsche Volk, dass die Gründung des Deutschen Reiches auf undemokratischem Wege, mit den Mitteln des preußischen Militärstaates, erfolgte. Die Einigung von oben stärkte die reaktionärsten und aggressivsten Kräfte Deutschlands. Die historische Schuld daran, dass die nationale Einigung von oben erfolgte, trug die deutsche Bourgeoisie. Sie war aus Furcht vor dem Volk ein Bündnis mit dem militaristischen preußischen Junkertum eingegangen.

Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1982

Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1982, bearbeitet von Petra Reichel

Original-Text aus dem Geschichtsbuch der DDR

Volksbewegung und herrschende Klassen im Kampf um die nationalstaatliche Einigung Deutschlands

Der Aufschwung der Volksbewegung

Hervorgerufen durch die Verschärfung der gesellschaftlichen Widersprüche, steigerte sich seit Ende der 1850er Jahre die politische Aktivität aller Klassen in Deutschland. Große Teile des deutschen Volkes traten in den Kampf um die demokratische Einigung Deutschlands ein.

Die Feiern zum 100. Geburtstag Friedrich Schillers im November 1859 wurden zu einem Höhepunkt der Volksbewegung. Im Hamburg demonstrierten 17 000, in Frankfurt am Main 8000 Menschen, in Berlin waren es Zehntausende Handwerker und Arbeiter.

Schillerfeier auf dem Gendarmenmarkt in Berlin am 10. November 1859.(Zeitgenössische Darstellung)
Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1982

In den Turn-, Wehr- und Schützenvereinen, in der Sängerbewegung gewann die demokratische Volksbewegung organisatorische Formen. Bis 1862 entstanden 1284 Turnvereine. 55 Prozent der Mitglieder waren Handwerker, 14 Prozent Arbeiter und Bauern, die übrigen Kaufleute, Lehrer Studenten und Schüler.

Der Aufschwung der Volksbewegung zeigte die Bereitschaft des Volkes, die Einigung Deutschlands von unten zu verwirklichen. Aber die Bourgeoisie fürchtete die Volksmassen. Als Ausbeuterklasse war sie trotz aller Unterschiede und Gegensätze mehr mit dem Junkertum als mit den Volksmassen verbunden. Statt die feudalen Zustände durch eine Revolution zu beseitigen, steuerte die Bourgeoisie auf ein festes Klassenbündnis mit dem Junkertum hin.

Im Jahre 1859 entstand als gesamtdeutsche Organisation der Bourgeoisie der Deutsche Nationalverein. 1862 zählte er bereits 25 000 Mitglieder. Arbeiter konnten nicht Mitglied werden.

Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1982

Im Jahre1861 schuf sich die preußische Bourgeoisie die Deutsche Fortschrittspartei. Sie trat ebenfalls für die Einigung Deutschlands durch Preußen ein und für einen größeren Einfluss der Bourgeoisie auf die preußische Politik.

In der Volksbewegung gewann die Arbeiterklasse eine besondere Stellung. Trotz scharfer Verfolgung hatte die Reaktion nach 1848 die Organisationsbestrebungen der Arbeiter nicht brechen können. Immer wieder bildeten sich örtliche Fachvereine und Hilfskassen von Arbeitern gleicher Berufe. Über 800 solcher Fachvereine der Maurer, Buchdrucker, Tabakarbeiter, Zimmerleute usw. bestanden.

Die Verschärfung des Klassengegensatzes zwischen Arbeiterklasse und Bourgeoisie zeigte sich in den Streikkämpfen, die besonders seit 1857 zunahmen. Im Jahre 1857 fanden mehr Streiks statt als in den fünf Jahren davor zusammengenommen. Ökonomische Kämpfe und politische Auseinandersetzungen um die demokratische Einigung Deutschlands förderten das selbständige Auftreten der Arbeiterklasse als politisch selbstständige Kraft. Seit dem Ende der 1850er Jahre entstanden in vielen Städten Arbeiterbildungsvereine. 1860 bestanden ungefähr 50, 1862 schon 100 solcher Vereine. Im Unterschied zu den Wehr- und Turnvereinen waren die meisten ihrer Mitglieder Arbeiter, und zwar der unterschiedlichsten Berufe. Von der Bourgeoisie gegründet, um qualifizierte Facharbeiter heranzubilden und die Arbeiter im bürgerlichen Sinne zu beeinflussen, wurden sie jedoch von den Arbeitern mehr und mehr zur Verständigung über ihre sozialen und politischen Interessen genutzt. So trat in ihnen bald der politische Gegensatz der Arbeiterklasse zur Bourgeoisie in den Vordergrund.

Versammlung eines Arbeiterbildungsvereins in den 1860er Jahren.(Zeitgenössisch Darstellung)
Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1984

Die „Blut und Eisen“-Politik Bismarcks in den 1860er Jahren

Die Zuspitzung der Widersprüche löste in Preußen eine politische Krise aus. Auf ihrem Höhepunkt wurde der Junker Otto von Bismarck im Jahre 1862 zum preußischen Ministerpräsidenten ernannt. Sein Ziel war die Niederwerfung der demokratischen Volksbewegung und die Vorherrschaft Preußens in Deutschland. Dieses Ziel wollte er mit allen Mitteln der Politik, nach seinen eigenen Worten sogar mit „Blut und Eisen“, erreichen.

Otto Fürst von Bismarck (1815 bis 1898). Seit 1862 war er als Preußischer Ministerpräsident entscheidend an der Einigung Deutschlands auf undemokratischem Wege beteiligt. (Fotografie 1871)
Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1982
Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1982

Bismarck wollte der sich entwickelten Volksbewegung zuvorkommen und so die preußische Monarchie und die weitere Herrschaft des Junkertums überhaupt retten. Andererseits erkannte Bismarck aber auch, dass die weitere kapitalistische Entwicklung nicht aufzuhalten war. Deshalb versuchte er, mit Hilfe des junkerlich-militaristischen preußischen Staates die dringendsten Bedürfnisse der kapitalistischen Entwicklung zu befriedigen. Gleichzeitig wollte er aber verhindern, dass die Bourgeoisie die politische Macht gewann. Er nutzte dabei die Furcht der Bourgeoisie vor den Volksmassen aus. Der Verrat der Bourgeoisie an der Nation und am gesellschaftlichen Fortschritt ermöglichte es ihm, seine Pläne in die Tat umzusetzen.

Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1982

Im Jahre 1864 versuchte Dänemark, sich Schleswig-Holstein anzueignen. Das deutsche Volk protestierte. Schon forderten Arbeiter und bürgerliche Demokraten in Volksversammlungen die Volksbewaffnung. Erste Freiwilligenverbände bildeten sich. Die Herrschenden in Preußen und auch in Österreich befürchteten einen revolutionären Volkskrieg, der sich nicht nur gegen Dänemark, sondern auch gegen die deutschen Fürsten richten könnte. Um dies zu verhindern, erklärten die Regierungen Österreichs und Preußens selbst den Krieg. Dänemark wurde im deutsch-dänischen Krieg schnell besiegt. Die Siegermächte besetzten Schleswig und Holstein.

Im Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland war Österreich der stärkste Gegner Preußens. 1866 führte Bismarck den Krieg mit Österreich herbei. Im preußisch-österreichischen Krieg schlug das preußische Heer die österreichischen Truppen in der Schlacht bei Königgrätz in Böhmen. Damit war der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland entschieden. Österreich schied aus dem deutschen Staatenverband aus.

Durch den Verrat der Bourgeoisie konnte Bismarck die Entscheidung über den Weg zu einem einheitlichen Nationalstaat gegen die demokratischen Kräfte herbeiführen.

Im Ergebnis des preußisch-österreichischen Krieges wurde im Jahre 1967 unter Vorherrschaft Preußens der Norddeutsche Bund gegründet. Ihm gehörten 21 Kleinstaaten und Freie Städte an. Der Reichstag des Norddeutschen Bundes wurde durch allgemeines, gleiches und direktes Wahlrecht gewählt. Die tatsächliche Macht im Bunde besaß jedoch der preußische König. Die Regierungsgeschäfte des Norddeutschen Bundes führte der preußische Ministerpräsident.

Der Norddeutsche Bund
Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1982

Die süddeutschen Länder (siehe Karte) blieben auf Grund eines Einspruches des französischen Kaisers Napoleon III., der eine Verschiebung der politischen Macht in Europa zuungunsten der französischen Bourgeoisie fürchtete, und aus Misstrauen gegen Preußen außerhalb des Norddeutschen Bundes.

Nach dem Sieg über Österreich sprach die preußische Bourgeoisie Bismarck im preußischen Abgeordnetenhaus ihr Vertrauen aus. Damit gab sie offiziell ihren historischen Anspruch auf die Führung der Nation preis.

Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1982, bearbeitet von Petra Reichel

Original-Text aus dem Geschichtsbuch der DDR