Streikkämpfe der Arbeiterklasse und die Herausbildung der Gewerkschaften
Der unversöhnliche Klassengegensatz zwischen Arbeiterklasse und Bourgeoisie war auf ökonomischem Gebiet für die Arbeiter besonders sichtbar. Die Arbeiter erkannten deshalb bald, dass sie selbst die geringsten Forderungen – höheren Lohn, kürzere Arbeitszeit, bessere Arbeitsbedingungen – nur im ständigen Kampf gegen die Bourgeoisie durchsetzen konnten. Ein wirksames Mittel im Klassenkampf war die Verweigerung der Arbeit, der Streik. (Das Wort „Streik“ kommt vom englischen to Strike=schlagen und wurde zuerst 1856 im Sinne von „die Kapitalisten schlagen“ verwendet.)
Um erfolgreich kämpfen zu können, müssen sich die Arbeiter zusammenschließen. So entstanden zunächst örtliche Vereinigungen von Arbeitern eines Berufes, die Fachvereine. Sie bildeten die Grundlage für die Herausbildung zentraler Gewerkschaften.
In England, dem damals entwickelsten kapitalistischen Land, waren die Arbeiter am besten organisiert. Die Arbeiter verlangten die Abschaffung der vielen Überstunden. Daraufhin sperrten die Kapitalisten 1852 15 000 Arbeiter der Maschinenfabriken, darunter 3500 Gewerkschaftsmitglieder, in London und Lancashire aus. (Bei einer Aussperrung lassen die Kapitalisten die Arbeiter nicht an ihre Arbeitsplätze und zahlen ihnen keinen Lohn. Dadurch versuchen sie die Arbeiter zu zwingen, bestimmte Bedingungen anzunehmen.) Die Kapitalisten versuchten damit, die Arbeiter zum Austritt aus der Gewerkschaft zu zwingen. Nach dreimonatigem Ringen mussten die Arbeiter den Kampf abbrechen. Die Kapitalisten erreichten ihr Ziel jedoch nicht: Die Arbeiter blieben ihrer Organisation treu. Die Gewerkschaft der Maschinenbauer, die sich im Kampf bewährt hatte, wurde zum Vorbild für andere Gewerkschaften.
1858/59 forderten die Bauarbeiter Londons den neunstündigen Arbeitstag. Durch eine Massenaussperrung, von der 24 000 Arbeiter betroffen wurden, wollten die Kapitalisten die Bauarbeiter-Gewerkschaften sprengen. Arbeiter ganz Englands unterstützten das Ringen der Bauarbeiter Londons, das von August 1858 bis Februar 1860 währte. Die organisiert kämpfenden Arbeiter erwiesen sich als unbezwingbar.
Auch in Deutschland fanden in dieser Zeit Streiks statt. In der Zeit von 1852 bis 1859 kam es zu über 100, allerdings kleineren Streiks. Mehr als die Hälfte davon wurde polizeilich niedergeworfen.
Mit der Verschärfung des Gegensatzes zwischen der Arbeiterklasse und den Kapitalisten nahmen die Streiks zu, und die Gewerkschaften breiteten sich aus. Bisher noch nicht organisierte Arbeiter traten den Gewerkschaften bei. Fachvereine schlossen sich zentralen Verbänden an. Neue Gewerkschaften bildeten sich. Die Arbeiterklasse konnte den Klassenkampf gegen die Bourgeoise umfassender und erfolgreicher führen.
Bild entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1982
Die Vereinigte Gesellschaft der Maschinenbauer, 1851 gegründet, war die größte Gewerkschaft Englands. Die zählte 1851 5000 Mitglieder, 1866/67 waren es bereits 33 000. Um 1870 waren 375 000 englische Arbeiter gewerkschaftlich organisiert.
In Deutschland wurden die Arbeiterorganisationen rücksichtslos unterdrückt. Dennoch bestanden von 1852 bis 1859 über 800 lokale Arbeitervereinigungen, darunter Fachvereine und gewerkschaftliche Hilfskassen. Ein Teil knüpfte untereinander Verbindungen an. Es entstanden die ersten zentralen Gewerkschaftsverbände der Tabakarbeiter (1865) und der Buchdrucker (1866).
Die einzelnen Gewerkschaften erfassten die Arbeiter eines Berufs. Größere Kämpfe aber erforderten das Zusammenwirken der Gewerkschaften über die Berufsgrenzen hinaus. Veranlasst durch den Bauarbeiterstreik 1859/1860 entstand 1860 der Londoner Gewerkschaftsrat. Ihm gehörten viele Leiter von gewerkschaftlichen Zentralverbänden an. Er wurde bald zum führenden Organ der gesamten englischen Gewerkschaftsbewegung.
Bedeutung und Grenzen des ökonomischen Klassenkampfes des Proletariats
Der Kampf um bessere Arbeits- und Lebensbedingungen bildete einen wichtigen Bestandteil des proletarischen Klassenkampfes. Durch ihn konnten auch noch nicht klassenbewusste Arbeiter in den Kampf einbezogen werden. So förderte er den Organisationsprozess der Arbeiterklasse. Dadurch wurden die Arbeiter aktionsfähiger; sie wurden zum gesellschaftlichen Machtfaktor. Die Gewerkschaften waren reine Arbeiterorganisationen. Durch ihren Kampf setzte die Arbeiterklasse -allerdings nur geringe- Lohnerhöhungen durch und erzwang die Verkürzung der Arbeitszeit.
Dieser ökonomische Kampf diente zunächst der Verbesserung der Lage der Arbeiter innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft. Er war überhaupt nicht auf die Beseitigung der Ausbeutung ausgerichtet. Deshalb konnte er die gesellschaftliche Lage der Arbeiterklasse im Kapitalismus als ausgebeutete und politisch unterdrückte Klasse nicht grundsätzlich ändern. Die Arbeiterklasse muss darum ihr ökonomisches Ringen mit dem politischen Kampf verbinden.
Bild entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1982
Die Bourgeoisie setzte ihre wirtschaftliche und politische Macht gegen die Organisationsbestrebungen der Arbeiter ein. Jeder Fortschritt in der Organisierung der Arbeiter musste deshalb gegen die Bourgeoisie und ihren Staat erkämpft werden.
In Frankreich verbot das Gesetz „Le Chapelier“ von 1791 alle Arbeiterorganisationen und Streiks. Aber auch der französische Kaiser Napoleon III. und seine Polizei- und Militärmacht erwiesen sich außerstande, die Bildung von Arbeitervereinen und die Durchführung von Streiks zu verhindern. Durch ihren Kampf erzwang die Arbeiterklasse 1864 die teilweise Aufhebung dieses Gesetzes.
In allen kapitalistischen Staaten musste sich die Arbeiterklasse demokratische Rechte, wie das Versammlungs- und Vereinigungsrecht, selbst erkämpfen. Das Ringen um diese demokratischen Rechte ist Bestandteil des politischen Kampfes. Er muss sich letztendlich gegen das Herrschaftssystem der Bourgeoisie richten und zur Eroberung der politischen Macht der Arbeiterklasse führen. Der politische Kampf ist die höchste und wirkungsvollste Form des proletarischen Klassenkampfes.

Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1982. Bearbeitet von Petra Reichel