Unter den in der Strafvollzugsanstalt Kleine Steinstraße befreiten Häftlingen befand sich auch eine Frau, die nach eigenen Aussagen den Namen Erna Dorn trug. Sie hielt sich in der Haftanstalt auf, weil sie im Mai 1953 wegen Naziverbrechen zu einer Zuchthausstrafe verurteilt worden war. Das Bezirksgericht hatte Erna Dorn für schuldig befunden, als Beamtin der Gestapo und KZ-Aufseherin Gefangene schwer misshandelt und gar in den Tod getrieben zu haben. Das Merkwürdige an diesem Fall bestand jedoch darin, dass sich Erna Dorn ausschließlich selbst belastet hatte. Von den vier Zeuginnen, die gegen Erna Dorn aussagen sollten, hatten zwei sie weder im KZ noch bei der Gestapo gesehen und die anderen zwei Zeuginnen waren zum Zeitpunkt der Gerichtsverhandlung spurlos verschwunden. In den vorliegenden Dokumenten ist von Zeuginnen keine Rede. Das Todesurteil befindet sich nicht in der MfS-Mediathek. Eigenartig, denn die BStU müsste doch auch im Besitz dieses Dokumentes sein.

Erna Dorn
Quelle: BStU, MfS, HAIX, ZUV, Nr. 75, Bd. 2, Bl. 143
Trotzdem wurde sie verurteilt und am 20. Juni von der SED-Bezirkszeitung „Freiheit“ sogar zur „SS-Kommandeuse“ hochstilisiert. Die SED-Führung benutzte den „Fall Dorn“ als vermeintlichen Beweis für den faschistischen Charakter des Aufstandes am 17. Juni 1953. Erna Dorn selbst wurde bereits fünf Tage nach dem Sturm auf die Untersuchungshaftanstalt vom Bezirksgericht Halle als „Rädelsführerin des faschistischen Putsches“ zum Tode verurteilt und damit zur Legende. Der Mythos von der „SS-Kommandeuse“ in Halle prägte weitreichend die Vorstellung vieler DDR-Bürger von den Ereignissen am 17. Juni 1953. Er ist zum Teil noch heute in Memoiren und Erzählungen von Augenzeugen des Volksaufstandes zu finden. Volksaufstand??
Von den vier Zeuginnen, die gegen Erna Dorn aussagen sollten, hatten zwei sie weder im KZ noch bei der Gestapo gesehen und die anderen zwei Zeuginnen waren zum Zeitpunkt der Gerichtsverhandlung spurlos verschwunden.
Die BStU denkt bei dieser Aussage wohl an Mafia-Prozesse, wo die Zeuginnen und Zeugen verschwinden. Wie oben gesagt, sind aus den vorliegenden Dokumenten keine Zeuginnen ersichtlich. Woher weiß die BStU das? Dann ist sie doch im Besitz des Todesurteils bzw. anderer entsprechender Dokumente. Da steht auch gewiss was darüber drin.
Es ist bis heute nicht gelungen, endgültig zu klären, wer diese Frau wirklich gewesen ist und ob Erna Dorn ihr richtiger Name war. Die von 1949 bis 1953 in Halle angelegte Gerichtsakte stellt den einzigen Nachweis für den Lebensweg der Erna Dorn dar. Aus der Zeit vor 1945 konnten bisher nirgendwo Dokumente gefunden werden. Das bedeutet aber, dass alle Tatsachen über sie im Wesentlichen auf ihren eigenen Aussagen bei Vernehmungen beruhen. Dabei ist nicht bekannt, ob sie bei den Vernehmungen, insbesondere nach dem 17. Juni, misshandelt und zu bestimmten Aussagen gezwungen wurde. Der Sachverhalt, dass sich Erna Dorn seit 1951 in immer größerem Maße selbst belastete, lässt diese Vermutung jedoch aufkommen. Darüber hinaus verstrickte Erna Dorn sich während der vielfach geforderten Darstellung ihrer Biografie selbst in einige Widersprüche. Und die vier Zeugenaussagen über ihre Tätigkeit vor 1945 trugen auch nicht zur Aufhellung ihres Lebensweges bei. Für die Handlungen Erna Dorns, die ihr unterstellt wurden, nachdem sie aus dem Gefängnis am 17. Juni 1953 befreit worden war, konnten Polizei und Staatssicherheitsdienst ebenfalls keine Zeugen ermitteln. Da versteigt sich die BStU in abenteuerliche Behauptungen. Nazis haben es wohl verstanden ihre Akten zu vernichten und diese wurden nicht, wie heute die DDR-Akten, gesammelt. Die behaupteten Widersprüche sind als amtliche Fehler zu sehen, wie unterschiedliche Angaben zwischen dem Gerichtsurteil vom 21. Mai 1953und dem Schlussbericht vom 22.06.1953.
- Seite 1 Gerichtsurteil vom 21.05.1953
- Seite 1 Schlussbericht vom22.06.1953
Aus den vorliegenden Akten ergibt sich ein sehr verworrener Lebenslauf. Erna Dorn, geborene Kaminsky, wurde am 17. Juli 1911 in Tilsit in Ostpreußen als Tochter des kaufmännischen Angestellten Arthur Kaminsky geboren. Nach dem Besuch der Höheren Mädchenschule und einer Lehre bei der Industrie- und Handelskammer in Königsberg bekam sie 1932 eine Anstellung im Polizeipräsidium Königsberg. Bereits an dieser Stelle beginnen die ersten Widersprüche. Denn Erna Dorn behauptete in einer Aussage, nur als Stenotypistin tätig gewesen zu sein, in einer anderen meinte sie aber, als Polizeiassistentin gearbeitet zu haben. „Ende 1934 Anfang 1935 kam ich dann zur Gestapo. Bis 1941 war ich bei der Gestapotätig und kam 1941 zur politischen Abteilung ins Konzentrationslager Ravensbrück.“ Genauso rätselhaft und undurchsichtig waren die Ausführungen Erna Dorns über ihre Tätigkeit als Mitarbeiterin der Politischen Abteilung im Konzentrationslager (KZ) Ravensbrück.

Erna Dorn
Quelle: BStU, MfS, HA IX/11, ZUV, Nr. 75, Bd. 2, Bl. 143 (Ausschnitt)
Von Vernehmung zu Vernehmung gab sie einen anderen Dienstrang sowie eine andere Tätigkeit an und ihre Beschreibungen des KZ wiesen gravierende Fehler auf. Auf den Namenslisten der SS-Einheiten des KZ Ravensbrück, die sich heute im Archiv der Gedenkstätte Ravensbrück befinden, ist weder der Name Erna Kaminsky noch der Name Erna Dorn zu finden. Schade, dass meine Bekannte, die in Ravensbrück eingesessen hatte, nicht mehr lebt. Überhaupt sind heute so gut, wie keine Zeitzeugen mehr am Leben. Die Nazis haben wohl entsprechende Akten weitgehend vernichtet, wo die Namen ihres Personals gestanden haben. Das ist die BStU nun „fein raus“.
Ab Mai 1945 lässt sich der Lebensweg Erna Dorns anhand einiger Dokumente nachweisen. Nach diesen Unterlagen vollzog Erna Dorn im Frühjahr 1945 einen Identitätswechsel. Seit dem 12. Mai 1945 verfügte sie über einen Entlassungsschein aus dem KZ Hertine in Tschechien sowie über einen falschen Namen. Sie nannte sich nun Erna Brüser, geborene Scheffler, und lebte die folgenden sechs Jahre in der Rolle eines vermeintlichen KZ-Häftlings
Die Wandlung Erna Dorns von einer mutmaßlichen Täterin zum Opfer der Nazidiktatur schien vollkommen zu sein, als sie noch im Jahr 1945 der KPD (ab 1946 SED) beitrat. In ihrer „Rolle“ als KZ-Häftling muss sie recht überzeugend gewesen sein. Denn es gelang ihr sogar, einen ehemaligen Spanienkämpfer und „Kämpfer gegen den Faschismus“, einen Offizier der Volkspolizei (VP), zu täuschen. Mit ihm ging sie im Dezember 1945 als Erna Brüser die Ehe ein. Das Paar zog bald darauf in eine eigene Zweiraumwohnung. Hier bot der VP-Angehörige seiner Ehefrau die Möglichkeit, ab März 1946 das Leben einer Hausfrau zu führen.
Im Jahr 1948 bekam Erna Dorn aber ein größeres Problem. Im August dieses Jahres fand in Halle der Prozess gegen die KZ-Aufseherin Gertrud Rabestein statt. In diesem Prozess sollte Erna Dorn als Zeugin vernommen werden. Vermutlich befürchtete sie, dass ihre mühsam aufgebaute Identität im Gerichtssaal Schaden nehmen könnte. Deshalb versuchte sie, sich der Aussageaufforderung mit dem Vorwand zu entziehen, sie sei schwanger
„Sie [Dorn] entzog sich dieser Pflicht und spielte, sage und schreibe zwei Jahre lang mit Kissen ausgestopft, die schwangere, nicht vernehmbare Frau.“
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Die Vortäuschung einer Schwangerschaft half Erna Dorn jedoch nicht nur aus dieser Zwangslage. Sie nutzte diesen Vorwand auch, um in den Genuss der Sonderzuteilung für Schwangere zu kommen. Daraufhin wurde sie im Januar 1950 wegen „Betrug und Wirtschaftsvergehen“ zu elf Monaten Gefängnis verurteilt. Von nun an ging es mit ihr bergab. Der Verurteilung folgte prompt der Ausschluss aus der SED und noch im Dezember 1949 ließ sich ihr Ehemann von ihr scheiden. Er untersagte ihr sogar mit einer notariellen Erklärung, weiterhin den gemeinsamen Familiennamen zu führen. So wie sie mit ihm verfahren ist wundert das Einen nicht. Außerdem war die Ehe nicht rechtmäßig
Vom Zeitpunkt ihrer ersten Verhaftung Ende 1949 bis zur Hinrichtung im Jahr 1953 hielt sich Erna Dorn fast ausschließlich in Strafvollzugsanstalten auf. Nachdem sie die erste Strafe verbüßt hatte, blieb sie nur wenige Wochen auf freiem Fuß. Dann wurde sie im Januar 1951 erneut von der Polizei festgenommen. Die arbeits- und obdachlose Erna Dorn hatte mit Komplizen unter anderem die Koffer von Reisenden im Halleschen Bahnhof gestohlen. Deshalb verurteilte ein Hallesches Gericht Erna Dorn 1951 zu einem Jahr und sechs Monaten Zuchthaus. Im gleichen Jahr begann jene Phase, in der Erna Dorn sich mit zum Teil grotesken Geschichten immer stärker selbst belastete. Ob sie sich dabei nur vor ihren Mitgefangenen hervortun oder aber zugleich an Menschen rächen wollte, von denen sie sich verraten fühlte, muss dahingestellt bleiben. Hier muss die BStU zugegeben, dass Erna Dorn eine Kriminelle war.
Bildquelle: MfS-Mediathek
Zuerst beschäftigte sie die Untersuchungsbehörden mit Legenden von ihrer angeblichen Agenten- und Spionagetätigkeit. Dann behauptete sie, ihr Ex-Ehemann sei in Wirklichkeit der ehemalige KZ-Kommandant von Ravensbrück, was sehr aufwendige und für den Betroffenen unangenehme Untersuchungen nach sich zog. Schließlich verbreitete sie die Geschichte über ihre Arbeit bei der Polizei und der Gestapo. Letzteres hatte zur Folge, dass Erna Dorn, nachdem sie noch einmal zwei Wochen auf freiem Fuß gewesen war, wegen Verdacht auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit wieder verhaftet und schließlich am 21. Mai 1953 vom Bezirksgericht Halle zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Dabei stützte sich das Gericht ausschließlich auf die „Einlassungen der Angeklagten und das bei den Akten vorliegende Beweismaterial, das sich aus Vernehmungsprotokollen zusammensetzt“. Diese sehr dürftige Beweislage führte offensichtlich zu dem für die damaligen Verhältnisse noch relativ niedrigen Strafmaß gegen eine „KZ-Aufseherin“. Als Angeberei und Wichtigtuerei verharmlost die BStU die Verleumdung ihres Ex-Mannes und dass nun herausgekommen ist, wer sie wirklich war
Drei Wochen nach ihrem Prozess befand sich Erna Dorn in der Strafvollzugsanstalt II in der Kleinen Steinstraße. Warum sie sich gerade zu dieser Zeit in der Strafvollzugsanstalt II aufhielt, konnte bisher ebenfalls nicht geklärt werden. Eine der Hypothesen besagt, dass sie dort auf eine Verlegung in ein Zuchthaus wartete. Dadurch erlebte sie am 17. Juni 1953 die Erstürmung des Gefängnisses mit und war unter den 245 befreiten Häftlingen, die gegen 16.00 Uhr die Haftanstalt verließen.
Durch diesen Zufall wurde Erna Dorn unfreiwillig in die Ereignisse am 17. Juni hineingezogen und bald eine der bekanntesten Personen des Volksaufstandes. Dass das kein dämlicher Zufall war, geht aus den Dokumenten hervor. Sie hatte Verbindung zu ihrem Vater, der für die BRD als Agent tätig war. Eigentlich erging es ihr so wie den meisten frei gelassenen Häftlingen, sie blieb nur wenige Stunden auf freiem Fuß. Bereits am Mittag des 18. Juni wurde sie wieder verhaftet und zurück in das Gefängnis gebracht. Doch was Erna Dorn in den dazwischenliegenden Stunden, insbesondere in der Zeit von ihrer Entlassung bis zum Beginn der Ausgangssperre um 21.00 Uhr, getan hatte oder aber getan haben soll, darum ranken sich bis heute Legenden. Es ist doch in den Dokumenten vermerkt, dass sie eine Rede hielt und faschistische Propaganda betrieb sowie zum Sturz der Regierung der DDR aufrief. Denn es gab weder Zeugen noch irgendeine Notiz in den vielen Berichten der Polizei und der SED über das Geschehen am 17. Juni 1953. Alle Berichte über die Handlungen Erna Dorns zwischen 16.00 Uhr und 21.00 Uhr beruhten ausschließlich auf den Aussagen von Erna Dorn selbst
Diese Aussagen hatte sie in einem Verhör am 21. Juni 1953 beim MfS gemacht, dem einzigen Verhör nach ihrer erneuten Verhaftung. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die Angeklagte bei dieser Vernehmung mit Gewalt zu ihren Geständnissen gezwungen worden ist. Aus dem Verhörprotokoll geht hervor, dass die, nach der Befreiung aus dem Gefängnis obdachlose Erna Dorn von Demonstranten oder Mithäftlingen den Hinweis erhielt, die Evangelische Stadtmission Weidenplan 4 aufzusuchen. Dort nahm man sie auf, gab ihr Zivilkleidung, etwas zu essen und eine Schlafmöglichkeit. Die Aussagen in diesem einen Verhör sowie ein dubioser Brief, den Erna Dorn angeblich am 18. Juni an ihren Vater geschrieben haben soll, waren die einzigen Beweismittel der Bezirksstaatsanwaltschaft Halle gegen Erna Dorn. Der Brief der Erna Dorn an ihren Vater wird von der BStU in Abrede gestellt. Nun behauptet die BStU, dass das MfS Gewaltmethoden angewendete hätte und macht aus der Täterin Dorn nun ein Opfer
Auf der Grundlage dieser „Beweise“ wurde Erna Dorn am 22. Juni 1953 in einer dreieinhalbstündigen Abendsitzung vom Bezirksgericht Halle zum Tode verurteilt. Die Berufung ihres Pflichtverteidigers sowie ein Gnadengesuch an DDR-Präsident Pieck wurden abgelehnt, weil sie angeblich in Halle eine der Haupträdelsführerinnen gewesen sei. Am 28. September 1953 brachte man Erna Dorn in eine Strafvollzugsanstalt nach Dresden, wo sie am 01. Oktober 1953 hingerichtet worden ist. Hierzu fehlen die Dokumente.
Erna Dorn oder wie jene Frau auch immer geheißen hat, hat den Ereignissen am 17. Juni 1953 in Halle nicht ihren Stempel aufdrücken können. Für diese Legende sorgten erst die Artikel in den Tageszeitungen der SED, die diese dubiose Frau und ihren undurchsichtigen Lebenslauf benutzten, um den Volksaufstand als „faschistischen Putschversuch“ zu verunglimpfen. Erna Dorn war eher ein Opfer des 17. Juni, denn die zufällige Befreiung aus der Haft kostete sie letztendlich das Leben. Hier schon wieder die Behauptung vom dämlichen Zufall. Das Todesurteil des Bezirksgerichts Halle vom 22. Juni 1953 war in keiner Weise gerechtfertigt. Deshalb wurde dieses Urteil 41 Jahre später, im Jahr 1994, vom Landgericht Halle „für rechtswidrig erklärt und aufgehoben“. Ach nee, die Taten einer faschistischen Verbrecherin werden verharmlost und die Opfer des Faschismus verhöhnt.
Es konnte nur das Wichtigste aufgedröselt werden. Was die BStU da betreibt ist unerträglich. Petra Reichel hat versucht das aufzudröseln.
Die Behauptungen der BStU entnommen aus „BStU-Geschichten“.