„Junge Welt“ zum Tod von Horst Hesse

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Wie jW erst jetzt bekannt wurde, verstarb am 16. Dezember im Alter von 84 Jahren in Schwedt an der Oder der ehemalige DDR-Kundschafter Horst Hesse. Er landete den vermutlich größten Coup des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), für dessen Abwehr er arbeitete: 1955 gelang es ihm, nach langwierigen Überprüfungen in der Würzburger Zentrale des US-Militärspionagedienstes MID (Military Intelligence Division) Leiter der »Agentenwerbung« zu werden. Pfingsten 1956 stahl er zwei Panzerschränke aus dem Hauptquartier und brachte sie in die DDR inklusive einer kompletten Agentenkartei, einigen tausend Blankoausweisen westdeutscher Institutionen, Angaben über »Schweigefunker«, die im Kriegsfall aktiviert werden sollten, und zahlreiche andere Dokumente. In der Folge flogen 521 vom MID geführte Mitarbeiter auf; Hesse wurde von einem US-Militärgericht in Abwesenheit zum Tode verurteilt.

Seine abenteuerliche Aktion in der Hochzeit des Kalten Krieges lieferte die Vorlage für einen der erfolgreichsten DEFA-Filme. »For eyes only« fand 1963 über zwei Millionen Zuschauer in der DDR und begründete den Ruf des Hauptdarstellers Alfred Müller als »James Bond des Ostens«.

Horst Hesse stammte aus einer Arbeiterfamilie, war gelernter Instrumentenfeinmechaniker und arbeitete in den Magdeburger Kruppwerken. Ende der 40er Jahre ging er zur Volkspolizei. Über seine Motivation sagte er in einem jW-Interview 2002: »Der Hauptgrund waren meine Kriegserlebnisse. Stellen Sie sich vor: Ich war 1942 als knapp 20jähriger in den Krieg gegangen und kam im Oktober 1945 in meine Heimatstadt Magdeburg zurück. Ich hatte eine heile Stadt verlassen und kam in einen Trümmerhaufen zurück. Meine Gesundheit hatte ich eingebüßt, denn ich war zweimal schwer verwundet worden.« In den Nachkriegsjahren habe er erlebt, »wie die einen die Trümmer beiseite schafften und die anderen sich an der Not bereicherten.«

Hesse lebte nach seiner spektakulären Flucht zurückgezogen. Das war nicht nur Sicherheitsgründen geschuldet. Er war ein sehr bescheidener und wenig auffälliger Mann, der allenfalls bei MfS-internen Vorträgen über seinen Einsatz im »Operationsgebiet« berichtete. Nach 1990 wurde gegen ihn ermittelt, doch ohne Konsequenzen.

Im 2006 erschienenen Buch »Der Botschaftsflüchtling und andere Agentengeschichten« (edition ost), der letzten von Markus Wolf betreuten Publikation, wird über diesen Fall und seine Folgen berichtet. Horst Hesse, der in zweiter Ehe verheiratet war, wird am heutigen Freitag beigesetzt.

https://www.mfs-insider.de/Presse/Hesse.htm

 

 

 

Artikel von „Spiegel online“ vom 11.05.2016 zu Horst Hesse

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Spiegel online Artikel zu Horst Hesse

 

Im „Spiegel online“-Artikel vom 11.05.2016 wird einerseits der Unterschied zwischen der wahren Geschichte und der verfilmten Geschichte erklärt, andererseits wird der wahre Fall klein geredet und relativiert.

Laut dem Artikel von „Spiegel online“ hat Hesse selbst sein Lebenswerk relativiert indem er als 80jähriger, als er seine Wirkungsstätte in Würzburg besuchte, gesagt haben soll: „Ich stehe heute da, wie ein Lügner.“

 

Horst Hesse

Horst Hesse, geboren am 12. Mai 1922 in Magdeburg und gestorben am 16. Dezember 2006 in Schwedt/Oder, war MfS-Angehöriger und Kundschafter.

1955 wurde er in Zentrale der Military Intelligence Division eingeschleust, gelang es ihm, in der Aktion „Schlag“ im Mai 1956 zwei Panzerschränke mit der kompletten Agentenkartei aus der MID-Zentrale zu entwenden und in die DDR zu bringen.


 

Horst Hesse stammte aus einer Arbeiterfamilie. Er war gelernter Feinmechaniker und arbeitete zeitweise in den Magdeburger Kruppwerken. Als knapp 20-jähriger wurde er 1942 in den Kriegsdienst einberufen. Während des Krieges wurde er zweimal schwer verwundet, zuerst beim Rückzug aus Afrika in der Nähe von Tunis, dann im niederländischen ’s-Hertogenbosch. Im April 1945 kam er bei Ludwigslust in Mecklenburg in britische Gefangenschaft, wurde aber wegen einer Beinverletzung vorzeitig entlassen. Nach einer Odyssee durch Westdeutschland kehrte er im Oktober 1945 in seine zerstörte Heimatstadt Magdeburg zurück. Ende der 40er Jahre ging er zur Volkspolizei. Nach einer kurzen Zeit als Schutzpolizist wurde er zur Abteilung Grenze versetzt. Ab 1948 war er Mitglied der SED.

Seine Kundschaftertätigkeit begann, als er von einem früheren Nachbarn namens Rudolf Voigt als Agent für die Military Intelligence Division (MID), einem US-amerikanischen Geheimdienst, angeworben wurde. Das Ministerium für Staatssicherheit, das Hesse von diesem Anwerbungsversuch in Kenntnis gesetzt hatte, entschied darauf hin, ihn als Doppelagent einzusetzen. Der MID, der ihn unter dem Decknamen „Lux“ führte, lieferte Hesse regelmäßig vom MfS präpariertes Material über Objekte der Roten Armee in Magdeburg. Auf diese Weise konnte er das Vertrauen Voigts gewinnen, was es ihm ermöglichte, Unterlagen aus dessen Wohnung zu entwenden und an das MfS weiterzuleiten. Durch den Verlust dieser Dokumente galt Hesse aus Sicht der MID als enttarnt und konnte offiziell nicht mehr in die DDR zurückkehren, so dass die MID entschied, ihn anderweitig einzusetzen.

Nach wochenlangen Überprüfungen durch die MID arbeitete er zunächst einige Monate als Befrager im Flüchtlingslager Bremen. Im Juni 1955 wurde er als Horst Berger schließlich in die MID-Zentrale nach Würzburg versetzt, wo er für die Auswertung von Briefen und Telegrammen aus der DDR in die BRD verantwortlich war. Es gelang ihm, sehr schnell das Vertrauen seiner MID-Vorgesetzten zu gewinnen und so zum Leiter der Abteilung Agentenwerbung aufzusteigen. Gleichzeitig hielt er regelmäßigen Kontakt zum MfS.

Im Mai 1956 führte Hesse die Aktion „Schlag“ aus, bei der es ihm gelang, aus der unbewachten MID-Zentrale zwei Panzerschränke zu entwenden und in die DDR zu bringen. Diese enthielten neben der kompletten Agentenkartei des amerikanischen Militärspionagedienstes in Deutschland auch einige tausend Blanko-Ausweise westdeutscher Institutionen, Angriffspläne sowie Angaben über sogenannte Schweigefunker, die im Kriegsfall aktiviert werden sollten.

Als Folge dieser Aktion wurden 521 vom MID geführte Mitarbeiter enttarnt, was zur Verhaftung von 140 Personen in der DDR führte. Hesse wurde von einem US-Militärgericht in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Die Aktion „Schlag“ lieferte die Vorlage für den von der DEFA(Filmgesellschaft der DDR) produzierten Filmklassiker „For Eyes Only“ (1963).

Entnommen aus Wikipedia, bearbeitet von Petra Reichel

siehe auch Artikel von „Spiegel online“ vom 11.05.2016