Veränderungen in der Klassenstruktur
Tiefe Klassengegensätze zerreißen die kapitalistische Gesellschaft. Sie verschärfen sich ständig mit der weiteren Entwicklung des Kapitalismus. Insbesondere spitzt sich der Hauptklassengegensatz der kapitalistischen Gesellschaft zu, der unversöhnliche Gegensatz zwischen Arbeiterklasse und Bourgeoisie.
Die industrielle Revolution vergrößerte mit der maschinellen Fabrikproduktion die ökonomische Macht der Bourgeoisie. Diese ökonomisch stärkste Klasse der kapitalistischen Gesellschaft verfügte über Geld, Fabriken, Maschinen, Rohstoffe und die in der kapitalistischen Produktion hergestellten Waren. Sie unterwarf sich ökonomisch die gesamte Gesellschaft und zwang die Arbeiter, Bauern, Handwerker, Händler und Intellektuellen in das kapitalistische Abhängigkeitsverhältnis, unter die kapitalistische Ausbeutung.
Die Bourgeoisie selbst war jedoch keineswegs eine einheitliche Klasse. Über die kleinen und mittleren Kapitalisten erhob sich eine kleine Minderheit von Großkapitalisten, die immer mehr Kapital in ihren Händen zusammenfasste und nach und nach die Schlüsselstellungen in der Wirtschaft beherrschte. Zu dieser Großbourgeoisie gehörten die mächtigsten Kapitalisten der verschiedenen Industriezweige, der Großbanken und die reichsten Großhändler.
Dabei gewann die Industriebourgeoisie die Vorrangstellung gegenüber der Handelsbourgeoisie. Innerhalb der Industriebourgeoisie übernahmen die Hütten- und Bergwerkbesitzer die führende Rolle. Diejenigen Kapitalisten, die nur mittlere oder kleine Betriebe besaßen, gerieten immer stärker in die Abhängigkeit der Großbourgeoisie.
In einigen Ländern, wie England, Frankreich und den USA, besaß die Großbourgeoisie bereits auch die politische Macht. In Deutschland dagegen übte nach wie vor der Adel die politische Herrschaft aus.
Durch die Fabrikproduktion verlor das Handwerk seine gesellschaftliche Bedeutung als Hersteller neuer Waren. Es wurde bald mehr und mehr auf Reparatur- und Dienstleistungen abgedrängt. Viele Handwerksbetriebe wurden ruiniert. Der Anteil der vom Handwerk lebenden Menschen an der Gesamtbevölkerung nahm ab.
Mit der Entwicklung des Kapitalismus wuchs die Arbeiterklasse rasch an. Ehemalige Handwerksgesellen, ruinierte Handwerksmeister, Tagelöhner, Landarbeiter, landlose Bauern und Bauernsöhne wurden Lohnarbeiter in Fabriken. Große Teile der Arbeiterklasse waren in Großstädten und in Industriezentren zusammengeballt. So stieg beispielsweise die Einwohnerzahl Berlins im Zeitraum von 1846 bis 1871 von 0,4 auf 0,8 Millionen.
Neben der zahlenmäßigen Stärke wuchs die gesellschaftliche Rolle der Arbeiterklasse. Die Verbindung der Arbeiter zu gemeinsamen Aktionen war jetzt leichter zu erreichen. Innerhalb der Arbeiterklasse wurde das Industrieproletariat – die Arbeiter der Fabriken, insbesondere der Großindustrie – zum entscheidenden Faktor. Diese Arbeiter waren mit der fortschrittlichsten Produktion verbunden. Sie bildeten den Kern der Arbeiterklasse. Wie die Großindustrie das Herz des Kapitalismus war, so nahmen die Arbeiter der Großindustrie sowohl in der kapitalistischen Produktion als auch im Kampf der Arbeiterklasse gegen die kapitalistische Ausbeutung eine Schlüsselstellung ein.
Der Übergang zur intensiven Ausbeutung
Allein die 1870 vorhandenen Dampfmaschinen hatten insgesamt eine Leistung von 12 bis 15 Millionen PS. Ihre Leistung war damit zehnmal größer als die körperliche Leistung aller industriell beschäftigten Arbeiter in der Welt.
Um 1850 stellte ein Arbeiter, der Stoff bedruckte, mit Hilfe von Maschinen soviel her wie früher 200 Arbeiter.
Die Lage der Arbeiter veränderte sich mit der Durchsetzung der maschinellen Fabrikproduktion nicht grundsätzlich. Unter kapitalistischen Bedingungen führt die Anwendung neuer Maschinen und Produktionsverfahren zur verstärkten Ausbeutung der Arbeiterklasse.
Die Kapitalisten erhöhten mit Hilfe der Maschinen das Arbeitstempo und zwangen die Arbeiter, in der gleichen Arbeitszeit mehr Kraft und Aufmerksamkeit aufzuwenden. Die Kapitalisten gingen damit von der extensiven Ausbeutung (Verlängerung der täglichen Arbeitszeit) zu intensiven Ausbeutung über. Die Arbeitsleistung lag höher in den Jahren 1860 bis 1969 um 38 Prozent höher als in der Zeit von 1840 bis 1849. Unfälle und Berufskrankheiten nahmen zu, die Arbeiter alterten frühzeitig.

Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1982
Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1982
Besonders menschenunwürdig waren die Wohnverhältnisse der Arbeiter. In Berlin mussten beispielsweise 1867 im Durchschnitt Arbeiterfamilien mit 6 bis 7 Personen in einem Raum leben. Die Sterblichkeit, vor allem die Säuglingssterblichkeit, war sehr hoch. Heute ist es so, dass sich arbeitende Menschen in der Regel in den Städten, insbesondere in den Großstädten, keine Wohnung leisten können. Sie müssen in den Vororten wohnen und lange Pendelzeiten auf sich nehmen.
Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1982
Das politische Herrschaftssystem der Bourgeoisie
Die unversöhnlichen Klassengegensätze, die die kapitalistische Gesellschaftsordnung hervorgebracht hatte, gefährdeten ständig die von der Bourgeoisie errichtete Ausbeuterordnung. In den Ländern, wo die Bourgeoisie zur Herrschaft gelangt war, suchte sie ihre egoistischen Klasseninteressen– die Ausbeutung der Arbeiterklasse und aller Werktätigen-, mit allen Mitteln gegen die große Mehrheit des Volkes durchzusetzen und zu sichern. Dazu diente das politische System der Bourgeoisie, vor allem der kapitalistische oder bürgerliche Staat.
Die kapitalistischen Staatsformen waren unterschiedlich: Die USA waren eine bürgerliche Republik. Großbritannien blieb eine konstitutionelle Monarchie. In Frankreich ließ sich 1852 der Präsident der bürgerlichen Republik als Napoleon der III. zum Kaiser ausrufen.
Doch so unterschiedlich auch die Formen der kapitalistischen Staaten sein mochten, sie waren stets das entscheidende politische Herrschaftsinstrument der der Bourgeoisie zur Sicherung der kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisse und zu politischen Unterdrückung der Volksmassen, insbesondere der Arbeiterklasse.
Die Parlamente, die die Gesetze beschlossen, setzten sich vorwiegend aus bürgerlichen Abgeordneten zusammen. Die gesamte Gesetzgebung von der Verfassung bis zu den Einzelgesetzen entsprach den Klasseninteressen der Bourgeoisie. Die Gesetze sollten insbesondere das Privateigentum der Bourgeoisie an Grund und Boden, den Häusern und Fabriken, Maschinen und Rohstoffen unantastbar machen. Die Gerichte, die über die Einhaltung der Gesetze wachten und Gesetzesverletzer bestraften, bestanden aus bürgerlichen Geschworenen, die die Gesetze im Klasseninteresse der Bourgeoisie handhabten. Heutzutage gibt es einige Verbesserungen. Siehe z.B. die heutige Geschworenenauswahl in den USA, die nun repräsentativ für die gesamte Bevölkerung sein muss. Doch der juristische Kampf ist hart, wenn man nach den Regeln der Bourgeoisie agieren muss. Trotzdem kann man sie mit ihren eigenen Regeln schlagen.
Im gesamten Staatsapparat hatte die Bourgeoisie die entscheidenden Positionen besetzt; in der Justiz ebenso wie im Verwaltungsapparat, in der Polizei wie Armee, in den Stadtverwaltungen wie in der Regierung. Die Bourgeoisie besaß das Bildungsmonopol, beherrschte Schulen und Zeitungen. Mag es im Staatsapparat und den Verwaltungen geringfügige Ausnahmen geben, so hat sich, was das Bildungs- und Medienmonopol angeht, nichts geändert. Vorübergehend gab es Änderungen im Bereich der Bildung, als die Sowjetunion den Sputnik startete.
An Stelle der alten persönlichen Abhängigkeit des Feudalismus hatte sich ein neues-nicht so sichtbares, aber dafür um so wirksameres-Abhängigkeitsverhältnis herausgebildet, das Geld. Die ökonomische Macht der Bourgeoisie setzte sich so in politische Macht um. Die Großbourgeoisie, die die ökonomischen Schlüsselpositionen besaß, beherrschte die Schalthebel der Macht, innen- wie außenpolitisch.
Während die Bourgeoisie in England, Frankreich und in den USA die politische Herrschaft direkt ausübte, blieb dagegen die politische Macht in Deutschland-trotz Durchsetzung des Kapitalismus in der Wirtschaft- in den Händen der Junker und Fürsten.

Entnommen aus dem Geschichtsbuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1982, bearbeitet von Petra Reichel