Die Volkskammer

Die Volkskammer setzte sich aus 500 Abgeordneten aller Klassen und Schichten der Bevölkerung der DDR zusammen.

Soziale Zusammensetzung Volkskammer

Entnommen aus dem Staatsbürgerkundebuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1988

 

Die Abgeordneten wurden von den Bürgern der DDR auf die Dauer von 5 Jahren gewählt. Die Kandidaten für die Wahl zur Volkskammer wurden von den demokratischen Parteien und Massenorganisationen aufgestellt. Diese hatten auch das Recht – und davon machten sie Gebrauch- , ihre Vorschläge zu dem gemeinsamen Wahlvorschlag der Nationalen Front der DDR zu vereinigen.

In der Volkskammer bildeten die Abgeordneten jeder politischen Partei oder Massenorganisation eine Fraktion. In der Volkskammer waren 5 Parteien und 5 der Massenorganisationen vertreten. Es gab deshalb 10 Fraktionen.

Fraktionen der Volkskammer

Entnommen aus dem Staatsbürgerkundebuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1988

 

Alle Fraktionen der Volkskammer beteiligten sich aktiv an der Ausarbeitung und Durchführung der Politik des sozialistischen Staates. Sie brachten die Meinung ihrer Mitglieder zu den Gesetzesvorlagen zum Ausdruck und erfüllten auch Aufgaben bei der Zusammenarbeit mit Parlamenten anderer Staaten.

FDGB in Volkskammer

Entnommen aus dem Staatsbürgerkundebuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1988

 

Auszug aus AGB Jugendförderung

Entnommen aus dem Staatsbürgerkundebuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1988

 

Die Stellung der Volkskammer als oberstes staatliches Machtorgan war in der Verfassung der DDR geregelt. Im Artikel 48 wurde dazu u.a. dazu ausgesagt:

 

  • „Die Volkskammer entscheidet über die Grundfragen der Staatspolitik;
  • Sie ist das einzige verfassungs- und gesetzgebende Organ in der DDR;
  • Niemand kann ihre Rechte einschränken.“

 

Ist es nicht eine Selbstverständlichkeit, dass niemand die Rechte der obersten Volksvertretung einschränken darf?

In vielen bürgerlichen Staaten ist dies nicht der Fall. In den USA kann der Präsident sein Veto(Einspruch)gegen die Gesetze des Kongresses(des Parlamentes der USA)einlegen. In der BRD gibt es das Bundesverfassungsgericht, das Gesetze ganz oder teilweise für verfassungswidrig und damit für nichtig erklären kann.

Deshalb war es eine große demokratische Errungenschaft, dass niemand die Rechte der obersten Volksvertretung in der sozialistischen DDR, dass niemand die Macht der Arbeiter, Bauern und anderen Werktätigen(arbeitenden Menschen) einschränken darf.

 

Die Volkskammer der DDR hatte umfassende Rechte. Dazu gehörten u.a.:

 

  1. Die Volkskammer bestimmt durch Gesetze und Beschlüsse endgültig und für jedermann verbindlich die Ziele der gesellschaftlichen Entwicklung der Deutschen Demokratischen Republik.

Zum Beispiel fassten die Abgeordneten der Volkskammer nach gründlicher Beratung mit den Werktätigen(arbeitende Menschen)den Beschluss über den Fünfjahrplan zur Entwicklung der Volkswirtschaft und die jährlichen Volkswirtschafts- und Staatshaushaltspläne. Damit waren die Aufgaben zur Entwicklung der Volkswirtschaft der DDR für den entsprechenden Zeitraum zum Gesetz erhoben.

  1. Die Volkskammer legt die Hauptregeln für das Zusammenleben der Bürger, Gemeinschaften und Staatsorgane sowie deren Aufgaben bei der Durchführung der staatlichen Pläne der gesellschaftlichen Entwicklung fest.

Dies geschah vor allem durch die Volkskammer beschlossenen Gesetze. Dazu gehörten zum Beispiel das Familiengesetzbuch, das Jugendgesetz, das Wehrdienstgesetz und das Strafgesetzbuch. Alle Gesetze waren für jedermann verbindlich. Wer dagegen verstieß, hatte sich vor der Gesellschaft und den entsprechenden staatlichen oder gesellschaftlichen Organen(Institutionen) zu verantworten.

  1. Die Volkskammer bestimmt durch Gesetze und Beschlüsse die Grundsätze der Tätigkeit der wichtigsten Staatsorgane.

Sie wählt:

  • Den Vorsitzenden und die Mitglieder des Staatsrates;
  • Den Vorsitzenden und die Mitglieder des Ministerrates;
  • Den Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates;
  • Den Präsidenten und die Richter des Obersten Gerichtes;
  • Den Generalstaatsanwalt.
  1. Die Volkskammer bestätigt auch wichtige Staatsverträge der Deutschen Demokratischen Republik.

 

Das waren noch nicht alle Rechte der Volkskammer, aber diese Aufzählung genügt, um ihre Stellung als oberstes staatliches Machtorgan zu kennzeichnen.

Volkskammer

Tagung der Volkskammer

Entnommen aus dem Staatsbürgerkundebuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1988

 

Im Palast der Republik befand sich der Plenarsaal für die Tagungen der Volkskammer. Hier kamen die Abgeordneten zusammen. Wer lud sie ein?

Die Abgeordneten der Volkskammer hatten dazu und zur Leitung der ihrer Tagungen ein Präsidium der Volkskammer auf ihrer ersten, der konstituierenden Tagung gewählt. An seiner Spitze stand der Präsident der Volkskammer.

Das Präsidium der Volkskammer unterbreitete den Abgeordneten den Vorschlag für die Tagesordnung, die dann von der Volkskammer beschlossen wurde. Das Präsidium hatte den Rang eines politischen Leitungsorgans(heute würde man sagen Gremium) für die Tätigkeit der Volkskammer gemäß ihrer Geschäftsordnung. Aber damit waren die Aufgaben des Präsidiums nicht erschöpft. Zu verweisen ist auch auf die Zusammenarbeit der Volkskammer mit den höchsten Vertretungskörperschaften anderer Staaten, die vom Präsidium und vom Präsidenten der Volkskammer wahrgenommen wurde.

Mit welchen Fragen befassten sich nun die Abgeordneten auf ihren Tagungen? Aus der Aufzählung der Rechte der Volkskammer ist zu entnehmen, dass die Volkskammer das einzige gesetzgebende Organ in der DDR war. Sie beriet und beschloss demzufolge auf ihren Tagungen vor allem Gesetze.

Betrachten wir diese wichtige Aufgabe der Volkskammer an einem Beispiel etwas genauer – dem Arbeitsgesetzbuch der DDR(AGB), das von der Volkskammer am 16. Juni 1977 beschlossen wurde. Verfolgen wir, wie es entstand, und verschaffen wir uns einen Einblick in die Tätigkeit der Volkskammer.

Natürlich wurden die Rechte und Pflichten der Werktätigen(arbeitenden Menschen)im Arbeitsprozess nicht erst 1977 geregelt. Auch vorher gab es ein Arbeitsgesetzbuch. Aber die Entwicklung der DDR hatte sich seit Inkraftsetzung des letzten Gesetzbuches der Arbeit(1962)vieles verändert. Dem konnte das alte Arbeitsgesetzbuch nicht mehr entsprechen. Deshalb stellte die SED auf ihrem VII. Parteitag 1971 die Forderung, das sozialistische Arbeitsrecht schrittweise weiter auszuarbeiten. Unter Leitung des FDGB wurde ein neues Arbeitsgesetzbuch vorbereitet.

Der 9. FDGB-Kongress(Mai 1977)schlug vor, der Volkskammer der DDR im Auftrag von über 8 Millionen Gewerkschaftsmitgliedern den Entwurf eines neuen Arbeitsgesetzbuches zu unterbreiten. Gleichzeitig wurde der Entwurf des neuen AGB in der „Tribüne“, der Zeitung des Bundesvorstandes des FDGB, veröffentlicht und zur Diskussion gestellt.

5,8 Millionen Arbeiter, Angestellte und Angehörige der Intelligenz beteiligten sich an der von den Gewerkschaften organisierten umfassenden Volksdiskussion.

Meldung Entwurf AGB DDR

Entnommen aus dem Staatsbürgerkundebuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1988

 

FDGB in Volkskammer

Entnommen aus dem Staatsbürgerkundebuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1988

 

 

Arbeiter diskutieren mit Abgeordnete

Entnommen aus dem Staatsbürgerkundebuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1988

 

Beratung Arbeiter und Abgeordnete

Entnommen aus dem Staatsbürgerkundebuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1988

 

Der auf dieser breiten demokratischen Grundlage entstandene Entwurf des AGB wurde vor der Tagung der Volkskammer in den Fraktionen uns Ausschüssen beraten.

Abgeordneter Im Gespräch

Entnommen aus dem Staatsbürgerkundebuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1988

 

Während der Konterrevolution ist das Arbeitsgesetzbuch der DDR unmerklich „abgespeckt“ worden. Die Bevölkerung war anderweitig beschäftigt. Nach der Annexion der DDR durch die BRD ist das AGB vollständig verschwunden. Ein so vorbildliches Arbeitsrecht, wie in der DDR werden wir nicht wiederbekommen. Übrigens bedeutet die Abkürzung „AGB“ heute „Allgemeine Geschäftsbedingungen“.

 

Die Ausschüsse der Volkskammer

Die Abgeordneten der Volkskammer waren, soweit sie nicht andere Funktionen ausübten, Mitglied eines Ausschusses der Volkskammer.

 

Zu den 15 Ausschüssen der Volkskammer gehörten u.a.

 

  • Der Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten,
  • der Ausschuss für Nationale Verteidigung, der Ausschuss für Volksbildung,
  • der Jugendausschuss,
  • der Verfassungs- und Rechtsausschuss,
  • der Ausschuss für Industrie, Bauwesen und Verkehr,
  • der Ausschuss für Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Nahrungsgüterwirtschaft.

 

In den Ausschüssen bereiteten die Abgeordneten die Tagungen der Volkskammer vor. So hatte sich auch der Ausschuss für Industrie, Bauwesen und Verkehr sehr gründlich mit dem Entwurf des AGB befasst und sich mit Werktätigen(arbeitenden Menschen), Vertrauensleuten der Gewerkschaftsgruppen und Mitgliedern der Betriebsgewerkschaftsleitungen(BGL) sowie Betriebsleitern beraten, um eine sachkundige Stellungnahme zum Entwurf des AGB abgeben zu können. In ähnlicher Weise haben andere Ausschüsse Beratungen und Kontrollen durchgeführt, so dass die Abgeordneten über die Meinungen und Vorschläge ihrer Wähler gründlich informiert waren und sachkundig im Interesse der Werktätigen(arbeitende Menschen)entscheiden konnten.

Volkskammerausschuss

Entnommen aus dem Staatsbürgerkundebuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1988

 

Günter Mittag ist in seiner Eigenschaft als Wirtschaftsexperte bekannt geworden. Er spielte eine unrühmliche Rolle und war eine Katastrophe. Als Erich Honecker während in der Zeit der großen Krise der DDR schwer krank wurde, bestimmte er ausgerechnet Günter Mittag als seinen Stellvertreter. Diese Entscheidung Erich Honeckers ist völlig unverständlich.

Über die Ergebnisse der Diskussion zum Entwurf des AGB informierte der Abgeordnete der Volkskammer und Vorsitzende des FDGB, Harry Tisch, die Abgeordneten.  Allerdings war Harry Tisch kein leuchtendes Vorbild als Politiker und Gewerkschaftschef  eines sozialistischen Landes.

Harry Tisch verwies auf die umfassende Volksdiskussion, in deren Verlauf 147 806 Vorschläge, Hinweise und Anfragen unterbreitet wurden, die zu 90 inhaltlichen und 144 redaktionellen Änderungen am Gesetzesentwurf führten.

Beratung Arbeiter und Abgeordnete

Entnommen aus dem Staatsbürgerkundebuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1988

 

So wie Harry Tisch berichteten auch andere Abgeordnete über breite Zustimmung, die der Gesetzentwurf in den Betrieben und in der Bevölkerung gefunden hatte. Der Abgeordnete Dietmar Küchler erklärte als Sprecher der Fraktion der FDJ:

„Die Fraktion der Freien Deutschen Jugend stimmt im Namen der Mitglieder des sozialistischen Jugendverbandes dem vorliegenden Arbeitsgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik voll zu.(..)Für die Leitungen der FDJ in den Betrieben werden im Gesetz umfassende Rechte zur Teilnahme an der Ausübung der sozialistischen Demokratie festgelegt.“

Einstimmig konnten die Abgeordneten der Volkskammer dem damals neuen Arbeitsgesetzbuch ihre Zustimmung geben. Mit der Beschlussfassung über das Gesetz war die Arbeit der Abgeordneten aber nicht beendet. Nun ging es darum, die Erfahrungen aus der Diskussion um den Inhalt des damals neuen Gesetzes allen Leitern(Chefs/Manager) und Werktätigen(arbeitende Menschen)zu erläutern. Das Gesetz trat daher auch nicht sofort in Kraft, sondern erst am 1. Januar 1978. Bis dahin organisierten die Gewerkschaften Schulungen für ihre Mitglieder und Funktionäre sowie für die Mitglieder der Konfliktkommissionen(Laiengerichte)in den Betrieben. Daran beteiligt waren immer wieder die Abgeordneten der Volkskammer, die somit auch für eine Verwirklichung des damals neuen Gesetzes sorgten.

Die Abgeordneten setzten sich auch nach dem Inkrafttreten des AGB für seine richtige Anwendung ein. Sie kontrollierten die Einhaltung der für die Werktätigen(arbeitenden Menschen)und Betriebe festgelegten Rechte und Pflichten. Für die Volkskammer galt, was W.I. Lenin für die Volksvertretungen sozialistischer Staaten forderte, dass „die Parlamentarier (..) selbst arbeiten, selbst ihre Gesetze ausführen, selbst kontrollieren, was bei der Durchführung herauskommt, selbst unmittelbar vor ihren Wählern die Verantwortung tragen.“ W.I. Lenin: Werke. Bd. 25, Berlin 1960, S. 437

In bürgerlichen Staaten wird diese Kontrolle den Juristen überlassen.  In bürgerlichen Staaten gilt die Gewaltenteilung. So kann das Parlament die Einhaltung der Gesetze nicht überwachen.

Die Abgeordneten der Volkskammer erfüllten ihre verantwortungsvollen Aufgaben im Interesse und zum Wohl des Volkes auf Grundlage der Verfassung. Die Bürger wurden in die Vorbereitung, Durchführung und Kontrolle der Entscheidungen der Volkskammer einbezogen. Die Volkskammer war das oberste staatliche Machtorgan in der Deutschen Demokratischen Republik.


Siehe auch einen weiteren Beitrag zur Volkskammer.

 

Staatsbürgerkunde 8

 

entnommen aus dem Staatsbürgerkundebuch der DDR für die 8. Klasse, Stand 1988, bearbeitet und aktualisiert von Petra Reichel

 

 

 

 

Original-Text aus dem Staatsbürgerkundebuch der DDR:

Staatsaufbau DDR

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